Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 28.02.2005

Die Sehnsucht der CDU-Parteibasis nach Harmonie

Erste Regionalkonferenz in Wurzen: Ministerpräsident Milbradt ohne offene Kritiker - Nur Politologe Jesse findet deutliche Worte
 
Wurzen. Die Trumpfkarte hatte sich der Amtsinhaber für das Ende seiner Rede aufgehoben. „Wer einen anderen Parteivorsitzenden haben will, soll ihn nominieren", lautete Georg Milbradts Aufforderung. Dann legte er nach: Wenn es in Wahrheit um den Ministerpräsidenten gehe, solle das offen gesagt werden. Und die Folgerung: „Wenn es um beides nicht geht, soll man den Mund halten." Langer Beifall bei den Delegierten. Diese Runde ging an Milbradt. Wurzen, die erste von drei Regionalkonferenzen, bescheinigte dem Landesvorsitzenden der sächsischen CDU seine augenblickliche Alleinstellung.

Ein Blick über die vorwiegend grauen Häupter im Kulturhaus „Schweizergarten" bestätigte Milbradts Analyse. „Wir sind nicht in bester Verfassung", beschied er der Union. Eine Verjüngung der Mitgliedschaft sei dringend erforderlich. Mit lediglich r5.ooo Mitgliedern verbiete sich ein Vergleich mit Bayern. Die CSU habe r6o.ooo Mitglieder. Bezogen auf Bayern müsse sich die sächsische Union auf 6o.ooo Mitglieder steigern.

Matthias Rössler, der als Meissener Kreisvorsitzender in einem Thesenpapier bayerische Verhältnisse gefordert hatte, fehlte bei der Regionalkonferenz ebenso wie die Milbradt-Kritiker Martin Gillo und Peter Jahr. „Kluge Papiere bringen nichts, wenn sie nicht umgesetzt werden", stichelte der Parteivorsitzende zurück und verteidigte sein eigenes Papier „Aufbruch statt Routine", mit dem er nach der Ablösung als Finanzminister sein politisches Comeback vorbereitet hatte. „Zu allem, was ich geschrieben habe, stehe ich noch", bekräftigte Milbradt und erklärte in bekannter Biedenkopf-Tonart: „Wir müssen uns um die Belange der Menschen kümmern, an Heimat und Stolz anknüpfen und deutlich machen, dass wir die Partei der Sachsen sind."

Für das Debakel bei der Landtagswahl will Milbradt nicht die Verantwortung übernehmen. Er habe damals wie heute überdurchschnittlich hohe Zustimmung erhalten. Da es zu ihm als Spitzenkandidaten keine Alternative gegeben habe, sei der Wahlkampf ein „Phantomwahlkampf` gewesen, überlagert von bundespolitischen Themen und geprägt von der Bindungslosigkeit ostdeutscher Wähler. Einziges Zugeständnis: „Uns ist eine Mobilisierung und die Zuspitzung auf ein Thema nicht gelungen."

Das unterstrich der Chemnitzer Politologe Eckhard Jesse in seiner Wahlanalyse in einer Deutlichkeit, die Milbradt von seiner Basis erspart blieb. Die Union habe in der Hartz-IV-Debatte keine klare Position bezogen, Milbradt habe mit seinem „partiellen Abrücken" von den Reformen eine „gewisse Diskrepanz" zur Kernparole des Wahlkampfes „Klarer Kurs für Sachsen" hergestellt. Auch habe der „Münsteraner die sächsische Seele zu wenig gestreichelt". Das Wahldesaster biete die Chance zur Erneuerung eingefahrener Strukturen. Wie Milbradt riet er zu einer stärkeren Verankerung im vorpolitischen Raum und zu mehr Bürgernähe. Die CDU solle sich die CSU Bayern zum Vorbild nehmen.

Die Partei habe einen „gewissen Fatalismus und Selbstgefälligkeit" entwickelt, kritisierte ein junges Mitglied. Die Mehrheit ging gnädig mit der Führung um und griff deren Gegner an. „Wer ein Amt verloren hat, soll sich damit abfinden", meinte die Abgeordnete Rita Henke. Und fast jeder ahnte, wen sie meinte.
Von Hubert Kemper