Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 03.03.2005

Ex-Minister legt sich mit Milbradt an

Neue Offenheit bei der zweiten CDU-Regionalkonferenz - Rößler will Partei aus der Lethargie führen
 
Bischofswerda/Dresden. Sachsens CDU, ein Klub braver Beifallsspender? - Wurzen, Schauplatz der ersten von drei Regionalkonferenzen, hatte diesen Eindruck vermittelt. Von Kritik an Parteichef und Wahlverlierer Georg Milbradt keine Spur. Bischofswerda, Treffpunkt für die Region Dresden, räumte mit dem Vorurteil gründlich auf, Die Union präsentierte ihre diskussionsfreudige Seite. Das Feuer an der Zündschnur hatte Milbradt selbst gelegt. Mutlosigkeit wollte sich Matthias Rößler nicht vorwerfen lassen. In Wurzen hatte der von seinem Ex-Minister per Thesenpapier attackierte Landesvorsitzende zu einem offenen Schlagabtausch bis hin zur Gegenkandidatur aufgefordert.

Mit Rößler stieg erstmals ein Milbradt-Kontrahent in den Ring. Bei den 520 Teilnehmern konnte ihm nicht der Applaus, immerhin aber Respekt sicher sein. Die Vorwürfe an die Adresse seines früheren Kabinettschefs sollten die Defizite zwischen Absichtserklärungen und messbarem Ergebnis bloßlegen. Milbradt fordere zwar die ehrliche Aussprache, habe aber auf Rößlers Analyse zum Zustand der Partei, die seit dem 3. Februar vorliege, noch nicht reagiert. Unter der Führung Milbradts sei die CDU seit September 2001 nicht voran gekommen.

Rößler stand nicht völlig allein. Der für seine Sachlichkeit geschätzte frühere Sozialminister Hans Geister hielt Milbradt vor, sich im Wahlkampf mit zu vielen Terminen verzettelt zu haben. Zudem rief er den Umgang mit seinem Vorgänger Kurt Biedenkopf in Erinnerung, der viele potenzielle CDU-Wähler traurig gestimmt und von der Wahlteilnahme abgehalten habe.

Die Mehrheit der Mitglieder applaudierte jedoch für Milbradt und für dessen These, dass Parteivorsitz und Ministerpräsidenten-Amt personell nicht getrennt werden sollten. Dafür plädierte auch der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt. „Die eigentliche Macht eines Regierungschefs kommt nicht aus seinem Staatsamt, sondern immer aus seiner Partei", lautete seine Begründung. Als Beispiel nannte er Helmut Kohl. Im Umkehrschluss: „Wer die CDU in Sachsen von der Macht bringen will, der soll darauf gehen, den Parteivorsitzenden zu stürzen. Ein Regierungschef mit Selbstachtung werde es so halten wie einst Bernhard Vogel in Rheinland-Pfalz: Als man ihn als Parteichef ablöste, trat er, „im Grunde politisch kastriert", als Ministerpräsident zurück.

Für eine Machtablösung lieferte Patzelt folgende Ablaufempfehlung: Entweder eine Kandidatur gegen Milbradt beim nächsten Parteitag oder die Übernahme der Landtagsfraktion und danach der Griff zu den Ämtern des Parteichefs und des Ministerpräsidenten. Doch das sei nicht sein Ziel, beteuert Rößler, um seine Popularitätswerte wissend. Er wolle die Partei aus der Lethargie heraus und zu neuer Schlagkraft führen. Einige seiner Thesen finden Patzelts Zustimmung. Auch der Politologe analysiert die personelle Auszehrung, Defizite in der Führung und die Vernachlässigung einer konservativen, wertorientierten Ausrichtung.

Milbradt überzog seine Redezeit erneut - diesmal um das Doppelte. Rößler nannte die Rede eine „Regierungserklärung" und warnte die CDU im Beifallsrausch. Die Konferenzen sollten nicht den Eindruck wecken, wie vor r99o die Verbundenheit mit der Partei- und Staatsführung zu demonstrieren. Beliebt machte Rößler sich nicht, doch er half Milbradts Generalsekretär Michael Kretschmer. Der wertete die Veranstaltung als Beweis für die Dialogfähigkeit der Union.
Von Hubert Kemper