Karl Nolle, MdL

Der Spiegel, Nr. 10, 06.03.2005

Knecht statt König

Die CDU rächt sich am ungeliebten Wahlverlierer Georg Milbradt. Der Ministerpräsident soll den Parteivorsitz aufgeben.
 
Der Mann am Rednerpult ist bekannt für seine knallharten Analysen und den weichen Ton, in dem er sie ganz harmlos vorträgt. „Der Georg", erklärt Sachsens Innenminister Thomas de Maiziere seinen 400 Parteifreunden im Kulturhaus von Bischofswerda, „der hat natürlich Schwächen." Die Partei brauche nämlich Leute mit Leib und Seele - und Letzteres, „lieber Georg, könnte manchmal mehr sein".

Da schluckt der liebe Georg. Keine zwei Meter entfernt sitzt Sachsens Regierungschef Georg Milbradt (CDU) zusammengesunken auf dem Podium und lächelt gequält. Doch de Maiziere ist noch nicht am Ende. Schwierig sei der Chef, verrät er den Zuhörern. Und überhaupt: Man könne doch nicht immer mit hängenden Mundwinkeln durch das Land laufen.

Da applaudieren die Gäste der CDU Regionalkonferenz schon fast erleichtert. Denn die sanft vorgetragene Kritik wirkte eher harmlos im Vergleich zu den Attacken, die der ungeliebte Parteivorsitzende seit Wochen aus der CDU zu ertragen hat. Zum Erbarmen schwach wirkt Milbradt gegen seinen Vorgänger Kurt Biedenkopf, der sich bis zu seinem Rücktritt 2002 wie kein anderer als Landesvater inszenierte.

„König Kurt", das klang lange Zeit nach Erfolg, nach „August dem Starken", nach Aufstieg. Der Mann wusste Symbole zu setzen, an denen die gekränkte ostdeutsche Seele sich aufrichten konnte. Der Aufbau der Frauenkirche, die Ansiedlung von Chip-Fabriken, der Kampf mit der EU Kommission um Subventionen. Die Kehrseite: hohe Arbeitslosigkeit in Gegenden wie der Lausitz, rechte Jugendkultur in der Sächsischen Schweiz - König Kurt überstrahlte alles.

Die Landtagswahl im September 2004, bei der die CDU 15,8 Prozentpunkte verlor, hat die Schwächen des Nachfolgers schonungslos offenbart. Der Erfolg der NPD hat den Mythos Sachsen ruiniert, den Glanz vergessen gemacht. Und die Niederlage hat einen Namen - Georg Milbradt. Seine Partei, jahrelang an die absolute Mehrheit gewöhnt, arbeitet nun an ihm die Wut über den Machtverlust ab.

Die Nadelstiche von Konkurrenten wie Thomas de Maiziere werden in der Partei genau registriert - und sie sitzen. Seit Milbradt sich unter Dauerbeschuss befindet, schauen sich die frustrierten Parteifreunde schon vorsichtig nach einem Nachfolger um. De Maiziere, Vetter des letzten DDR Ministerpräsidenten, gilt als erste Wahl.

Der Jurist und Merkel-Vertraute ist im Gegensatz zum auf Finanzpolitik festgelegten Regierungschef ein Multitalent: Er war Kultusstaatssekretär, Chef der Staatskanzlei, Finanzminister, Justizminister und führt seit vier Monaten das Innenressort. Bereits 2002 hatten ihn führende Christdemokraten gedrängt, bei der Wahl zum Ministerpräsidenten gegen Milbradt anzutreten. Damals war er 48 - er konnte warten.

Nun beobachtet er in aller Ruhe Milbradts Demontage an der Elbe. Erst geht die absolute Mehrheit verloren, dann braucht der Spitzenkandidat zwei Anläufe, um im Parlament zum Regierungschef gewählt zu werden. Die eigenen Leute stimmen offenbar mehrfach mit der NPD, und nun muss der blasse Premier noch um sein Amt als Parteivorsitzender bangen: In einem Thesenpapier fordern CDU-Kreisvorsitzende Milbradt auf, er solle den Parteivorsitz aufgeben.

Der reagierte auf seine typische Art. „Unsinnig" und „unpolitisch" seien die Vorstöße, belehrte der Volkswirt seine Kritiker arrogant. Dieses Oberlehrerverhalten stachelt die Wut seiner Parteifreunde erst richtig an. Besonders den ehemaligen Ministern Martin Gillo (Wirtschaft) und Matthias Rößler (Wissenschaft), die ihre Posten nach dem Wahldebakel an den SPD-Koalitionspartner abgeben mussten, steht der Sinn nach Revanche. „Sachsen braucht wieder bundespolitisches Renommee", stichelt Rößler, der Freistaat komme im Bund nicht mehr vor, und die CDU sei blutleer wie nie: „Es sieht im Moment nicht so aus, als ob es Schübe des Neueintritts gibt."

Selbst Dorfbürgermeistern erscheint die Partei inzwischen leblos. Die Union komme „zu technokratisch" rüber, kritisiert Lothar Mende, ehrenamtlicher Dorfschulze im Weißeritzkreis, auf der Regionalkonferenz. Technokratisch, damit meint er wohl vor allem den Chef. Als Georg Milbradt mit Bundeskanzler Gerhard Schröder durch die Stadt Weißwasser ging, ergriff Schröder jede Hand, die er nur erwischen konnte. Milbradt stampfte brummig mit gesenktem Blick hinterher und ließ sich vom Kanzler zum Knecht degradieren: „Mach doch mal ein Foto", befahl er dem Sachsenboss beim Bad in der Menge. Auch als Redner ist der Rechenkünstler eher ungelenk. Bei der Auswertung des Wahldebakels entfuhr ihm der peinliche Versprecher: „Wer Milbradt will, muss SPD wählen."

Vor der Unbill seiner Partei, dem Hohn und Spott der NPD, hat sich der Regierungschef in seiner Staatskanzlei wie in einem Bunker verschanzt. „Das ist wie im Kino - beim Untergang", klagt ein führender Christdemokrat. Misstrauisch sei der 60-Jährige geworden und beratungsresistent. Alles wird zur Abwehrschlacht.

Die Wirklichkeit gerät so zur täglichen Überraschung - auch für Milbradt selbst. Bei drei geheimen Abstimmungen im Parlament haben CDU-Abgeordnete vermutlich mit der NPD gestimmt. Nach dem ersten Schock beschwor Milbradt seine Mannen zur Geschlossenheit, drohte den Abweichlern mit Ausschluss. Vergebens. Sieben Tage später hatte die NPD wieder fünf Stimmen mehr, als sie Sitze im Landtag hat. Nun sollen die Stimmzettel heimlich an einer Ecke geknickt werden, um die Abweichler einzukreisen. Auch über spezielle Stifte wurde nachgedacht, der Höhepunkt der Hilflosigkeit.

Möglicherweise jedoch ist der Verrat nicht politisch gemeint, sondern ganz persönlich. Milbradt hat die Fraktion selten pfleglich behandelt. Viele erinnern sich an Sitzungen, in denen er Abgeordnete vor versammelter Mannschaft rüde abgekanzelt hat.

Es ist diese kalte, emotionslose Art, mit der er Feind und Freund zur Weißglut treibt. Es gebe in den sächsischen Verwaltungsstuben Menschen, ätzte einst der Kabinettskollege Hans Joachim Meyer, die zur sächsischen Kultur „keine Beziehung haben und ihr Geschäft mit gleicher Kompetenz auch im Kongo oder Neufundland betreiben würden". Eine Renaissance erlebt derzeit auch Kurt Biedenkopfs vernichtendes Urteil, wonach Milbradt ein „hochbegabter Fachmann", aber ein „miserabler Politiker" sei.

So mehren sich die Zweifel, ob Milbradt den Parteitag im Herbst unbeschädigt übersteht. Mit nichts, so scheint es, kann er mehr punkten. Sein Fleiß gilt plötzlich als „Aktenfresserei", seine Detailkenntnis als Mangel an Visionen. Selbst die Billiguhr am Handgelenk und die ausgetretenen Schuhe des Premiers gelten nicht mehr als Ausdruck von Bescheidenheit: „So kann man doch nicht rumlaufen."

So wird man vor allem nicht eingeladen. Als Biedenkopf kürzlich auf Schloss Proschwitz seinen 75. Geburtstag feierte, musste sein Nachfolger draußen bleiben. Man wolle halt „nur mit Menschen feiern, die wir wirklich gern um uns haben", erklärte Ingrid Biedenkopf. Und trank mit ihrem Gast Thomas de Maiziere auf ein langes Leben des Sachsenkönigs a. D.
Von Steffen Winter