Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 19.03.2005

"Sozialen Patriotismus" nicht auf Verzichts-Patriotismus beschränken

 
Dresden. Des Kanzlers Erklärung im Bundestag war gerade vorüber und der "Jobgipfel" noch im Gange, da tagte am Donnerstagabend die Dresdner Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema "Brauchen wir einen neuen sozialen Patriotismus?". Die Veranstaltung war Teil einer Diskussionsreihe zur sozialen Gerechtigkeit.

Gerhard Schröder (SPD) hatte am Vormittag genau diese patriotische Einstellung nicht nur von Arbeitnehmern, sondern auch von Arbeitgebern gefordert. Als Hauptredner im Dresdner Kulturpalast bekam der bekannte alternative Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel Gelegenheit zur Erwiderung. Hickel konstatierte einerseits "gigantische Fehlentwicklungen" der letzten Jahre, bestritt aber, dass das Vaterland wirtschaftlich darniederliege. Die Entwicklung sei vielmehr "tief gespalten" zwischen Binnenwirtschaft und Exportweltmeisterschaft, so, wie zwischen Armut und Reichtum auch. Die angekündigte erneute Senkung der Körperschaftssteuer werde wie bei früheren Senkungen auch nicht einen einzigen Arbeitsplatz bringen. Sie sei nur die Fortsetzung einer gescheiterten angebotsorientierten Politik.

Nach Hickels Meinung ist die Wirtschaft seit dem Ende der Systemkonkurrenz zum Sozialismus dabei, jede ethische Bindung zu verlieren. Deshalb befürwortet er einen sozialen Patriotismus, der sich allerdings "kosmopolitisch" nicht mehr auf den nationalen Rahmen beschränken könne. Mindestens auf europäischer Ebene seien soziale Mindeststandards nötig, nicht zuletzt, um vergleichbare Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.

Hickel und die Veranstalter bezogen sich auf einen Artikel der jungen Dresdner Politik- bzw. Sozialwissenschaftler Christian Demuth und Hans Jürgen Friess in den "Frankfurter Heften" der SPD. Darin fordern sie diesen Patriotismus als eine "neue Bürgertugend", aber nicht nur im Sinn eines "Verzichts-Patriotismus" der ohnehin Schwachen, sondern als eine Bindung der wirtschaftlichen Eliten an ein übergeordnetes Wertesystem. Dieser neue "Adel", bei Hickel ist es die "Klasse der Globalisierungsaktivisten", müsse wieder gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein zeigen. Das stehe nicht im Widerspruch zu Selbstverwirklichung und individueller Freiheit. Die Autoren räumen ein, dass eine solche Selbstverpflichtung in einer Art "Fürstenspiegel" sehr idealistisch gedacht sei. Es gehe deshalb nicht ohne "Fremddisziplinierung" durch den Staat.

Schwere soziale Unruhen und Destabilisierung drohen

Wenn es nicht gelingt, zu einer Sozialbindung des Eigentums zurückzukehren, wie sie auch im Grundgesetz verankert ist, werden schwere soziale Unruhen und eine Destabilisierung der Gesellschaft die Folge sein. Darin waren sich alle Redner der teils leidenschaftlichen Diskussion einig. In Ostdeutschland habe man die soziale Marktwirtschaft nie kennengelernt, meinte eine Stimme aus dem Publikum.

"Der Sozialstaat war ein Garant der Prosperität", sagte der Druckunternehmer und SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle. Das mit "Kostensenkung und Deregulierung" beschriebene neoliberale Trommelfeuer auf diesen Sozialstaat aber sei von "ergreifender Banalität". Die Reduktion auf einzelbetriebliche Logik versperre den Blick auf die Verantwortung für das Ganze, sagte DGB-Regionalchef Ralf Hron.
von Michael Bartsch