Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 07.04.2005

„Pest des Schmierens“ hat Deutschland infiziert

Deutschlands bekanntester Jäger von Korruption war in Dresden zu Gast.
 
Dresden. Schlechte Luft und schummrige Beleuchtung – für den Präsidenten des Industrieclubs Sachsen, Günter Bruntsch, passten diese Bedingungen am Mittwochabend auf Schloss Eckberg in Dresden „fast zum Thema“. Vor 100 Unternehmern referierte Deutschlands bekanntester Gegner von Korruption: Oberstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner aus Frankfurt am Main. Seine These: Wo investiert wird, wird auch geschmiert.

Der 56-Jährige hatte 1987 erstmals ein korruptes System in der öffentlichen Verwaltung seiner Heimatstadt aufgedeckt. „Bis dahin“, so Schaupensteiner, „war die Käuflichkeit von Beamten in der Bundesrepublik ein Tabu“. Dabei habe sich die „Pest des Schmierens“ in den vergangenen zwei Jahrzehnten auch in Deutschland zur nackten Profitgier ausgeweitet. Korruption boome und untergrabe immer mehr das Vertrauen der Bürger in Staat und Unternehmen. „Doch während in der Wirtschaft Wachstum auch mehr Arbeit bedeutet, muss die Justiz Stellen abbauen.“ Gleichwohl hätten sich die Durchgriffsmöglichkeiten verbessert, vor allem durch das Korruptionsbekämpfungsgesetz von 1997.

Nach einer repräsentativen Umfrage der Euler-Hermes-Kreditversicherung summiert sich der Schaden durch bemerkte Wirtschaftskriminalität bei den 300 000 deutschen Unternehmen mit mehr als einer Million Euro Umsatz seit 2002 auf 23,6 Milliarden Euro. Die Dunkelziffer liegt höher. Von 100 Korruptionsdelikten fliegen nur fünf auf, so Schaupensteiner. Für den Staatsanwalt ist ein Grund dafür das schwindende Unrechtsbewusstsein. Die Hälfte aller Deutschen wären zur Vorteilsnahme bereit, sagt er. Werte wie Zuverlässigkeit und Verantwortung seien in den Hintergrund getreten, auch bei den Arbeitgebern. Die neuen Werte hießen Flexibilität, Kosten killen, Profitmaximierung. Da sei die Korruption als Teil der Unternehmenspolitik mitunter willkommen.

Das aber sei ein „grandioser Irrtum“. Wer Mitarbeiter beauftrage, notfalls mit korruptiven Mitteln den Umsatz zu steigern, der könne von ihnen auch keine Loyalität erwarten. Anfälligste Branchen für korruptive Systeme seien das Bauwesen, die Rüstungsindustrie, die Abfallentsorgung und das Gesundheitswesen. Briefkastenfirmen, Töchter im Ausland, Stiftungen werden gegründet, um Geldströme zu verschleiern. In der Buchhaltung tauche der Begriff „Schmiergeld“ nie auf. Dort sei von Provisionen die Rede, von Beratungshonoraren, Aufwandsentschädigungen oder Prämien.

Schaupensteiner sprach sich ausdrücklich für das im Bundesrat gescheiterte Korruptionsregister aus. Darin sollen Unternehmen gespeichert werden, denen schwere Verfehlungen nachgewiesen wurden.

Er selbst habe als besten Schutz vor den individuellen Versuchungen erkannt: „Wer keine Karriere machen will, der kann die Wahrheit sagen, weil er keine Rücksicht nehmen muss.“ So sei er zum Oberstaatsanwalt „wider Willen“ geworden.
Von Ulrich Wolf