Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 11.04.2005

Überflieger erreicht neue Höhen

Wahl: Mitbewerber haben ihr Ziel verfehlt, Tiefensee in einen zweiten Wahlgang zu ziehen.
 
Der Gang durch die Flure zum großen Saal des Leipziger Neuen Rathauses gerät für Wolfgang Tiefensee zum Triumphzug. Er lächelt ein Lächeln in die Kameras, das eine Mischung aus Erleichterung und dem Gefühl des Siegers ist. Noch bevor der Wahlleiter um 19.30 Uhr verkündet, dass der Kandidat Wolfgang Tiefensee 67,1 Prozent der Stimmen erhalten hat, klettert der alte und neue Oberbürgermeister auf einen Tisch zwischen die Computer, die die frohe Botschaft aus den Wahlbezirken empfangen. Im Saal wird applaudiert. Jetzt sagt er wieder die Worte, mit denen sich viele Leipziger identifizieren können, die Tiefensee nach der Olympia-Pleite jedoch sparsamer aussprach. „Ich glaube an diese wunderbare Stadt“, sagt er, „was wir brauchen, ist dieses Selbstbewusstsein.“ Es scheint, als sei durch den Erdrutschsieg sein eigenes, angeknackstes Selbstbewusstsein endgültig geheilt.

Am Rand steht die zweitplatzierte Barbara Höll von der PDS und versucht zu erklären, warum sie es nicht geschafft hat, Tiefensee in einen zweiten Wahlgang zu ziehen. Trotz Hartz IV und über 20 Prozent Arbeitslosigkeit in der Stadt. „Es war eindeutig eine Personenwahl für Tiefensee“, räumt sie ein. Dass sie nicht mal die sozial Schwachen, um deren Stimmen sie unverhohlen warb, ausschöpfen konnte, erklärt Barbara Höll so: „Bei Arbeitslosen habe ich eine große Resignation heraus gehört, viele denken: Wählen hat eh keinen Zweck und so schlecht war Tiefensee ja nicht.“ In der Tat sind viele lieber zu Hause geblieben. Die geringe Wahlbeteiligung von 43,9 Prozent erzählt von einer großen Zahl Unzufriedener, die jedoch in den Herausforderern keine Alternative zu Tiefensee sahen.

In den Tagen vor der Wahl herrschte im Cafe Tiefensee, der Wahlkampf-Zentrale der SPD in der Innenstadt, Zuversicht, dass Tiefensee es schon in der ersten Runde packt. „Wir haben uns gewundert, wo der Wahlkampf bleibt“, verriet Tiefensees erster Wahlhelfer, Tobias David. Robert Clemen von der CDU schaffte es nicht, sich mit konkreten Projekten als Alternative aufzubauen. Traditionelle CDU-Themen wie Wirtschaftsförderung deckte Tiefensee nach Meinung der meisten Wähler überzeugend ab. Die Ansiedlung von DHL war nach Porsche und BMW die letzte Trumpfkarte des OB, der das bürgerliche Lager nichts entgegen zu setzen hatte. So steht Clemen am Wahlabend geschlagen am Rand. Eine Aufmunterung eines Bürgers quittiert er mit ratlosem Schulterzucken.

Die Wahl der Leipziger darf Tiefensee als Bestätigung in strittigen Fragen werten. Den Leipzigern war der Stolz auf die Olympia-Bewerbung letztlich wichtiger als die lückenlose Aufklärung ihres Scheiterns. Das ist jetzt Vergangenheit. Tiefensee blickt in seinen Statements nur nach vorn. Visionen wie der umstrittene City-Tunnel gehören offenbar trotz leerer Kassen zum Selbstverständnis der Stadt. Tiefensee verspricht am Wahlabend den Wahlverlierern der anderen Parteien einen fairen Umgang im Stadtrat. Die Leipziger werden ihren Oberbürgermeister auch daran messen, ob er nach dem grandiosen Wahlsieg entrückt oder am Leipziger Boden der Tatsachen die Probleme anpackt.
Von Michael Kraske