Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 14.04.2005

Die fiesen Tricks des Suppenstars

Der Görlitzer Polizeiführer S. muss eine Suppe auslöffeln, die er sich mit Mobbing eines Kollegen eingebrockt hat.
 
Polizeihauptkommissar Wieland Wehlte fiel aus allen Wolken, als ihn im Mai 2002 eine Mitarbeiterin des bayerischen Werbeartikelverlags Fidel anrief und fragte, ob er tatsächlich die telefonisch bestellte Ware für knapp 30 000 Euro haben möchte. 1 000 Bio-Feuerzeuge, 300 Autostaubsauger, hunderte Kühlrucksäcke, Kugelschreiber und Tassen hatte er angeblich geordert. Wehlte beschaffte als Mitarbeiter für Prävention und Öffentlichkeitsarbeit in der Görlitzer Polizeidirektion (PD) tatsächlich einige Werbemittel, aber nie in solchen Mengen. Außerdem hatte Wehlte den Riesenposten auch gar nicht bestellt.

Aber ähnliche Fälle machten Wieland Wehlte seit Wochen zu schaffen. So fuhren des Nachts Taxen und wollten ihn abholen. Dann standen Container vor seinem Haus. Mal lud ein Getränkeservice Bierkästen bei ihm ab, mal standen 20 Zentner Briketts vor seinem Haus, obwohl er Ölheizung hat. Auch eine Nähmaschine vom Quelle-Versand oder CDs aus Berlin sollte er eines Tages per Nachnahme abholen. Mit Hotelreservierungen drohte die Sache richtig teuer zu werden. „In keinem Fall hatte ich Derartiges bestellt“, sagt der 58-Jährige, der heute im Vorruhestand ist. Nur durch sein schnelles Reagieren konnte er finanziellen Schaden abwenden.

Anfangs glaubte der Hauptkommissar, jemand aus seinem Bekannten- oder Verwandtenkreis tyrannisiere ihn oder es sei ein Scherz. „Aber mit der Zeit nervte das alles“, sagt er. Erst nach der dubiosen Bestellung der polizeilichen Werbemittel kam Wehlte der Verdacht, dass ihn auch ein Kollege auf diese Weise drangsalieren könnte. Nur wenige wussten, dass er Werbemittel für die PD bestellen durfte. Eine Überprüfung der Telefongespräche ergab schließlich, dass die 30 000-Euro-Bestellung tatsächlich aus der Chefetage seiner Behörde erfolgt war.

Wieland Wehlte wollte es erst nicht glauben. Aber Ärger hatte er eigentlich ganz oben nur mit Polizeioberrat S., dem stellvertretenden Chef der PD. Der mehr als zehn Jahre jüngere Beamte war Mitte der 90er Jahre aus Chemnitz nach Görlitz gekommen und in der Neißestadt auf der Karriereleiter nach oben gestiegen.

Suspendiert und Hausverbot

Richtig Karriere gemacht hatte S. aber 2003 nicht in Grün, sondern in Weiß und nicht mit seiner Dienstwaffe, sondern mit einem langen Rührlöffel – als Deutschlands „Suppenstar“. Mit seiner Breslauer Kartoffelsuppe stand er im November 2003 in einem Berliner Nobel-Varieté im Scheinwerferlicht und erntete reichlich Ruhm für die Neißestadt. Wieland Wehlte war derweil psychisch ziemlich fertig angesichts immer wiederkehrender Drangsalierungen.

Nun muss der Suppenstar wohl eine Suppe auslöffeln, die ihm noch lange schwer im Magen liegen könnte. Denn Wieland Wehlte vertraute sich schließlich dem Personalrat seiner Dienststelle an. Es kam zur Anzeige wegen des Verdachts auf Mobbing, die Kripo des Polizeipräsidiums Dresden nahm Ermittlungen auf.

Auslöser des Ärgers waren offenbar einige wenige Begegnungen zwischen Wehlte und S., in denen der Oberrat den notwendigen Respekt des Hauptkommissars vermisste. Wehlte sagt, er habe den ranghöheren Beamten wegen dessen „Führungsstil aus den 60er Jahren“ kritisiert. „Er war der Ansicht, ich sei verpflichtet, ihn zu grüßen“, sagt Wehlte. Seither war das Verhältnis stark unterkühlt.

Wehlte nannte den Ermittlern schließlich mehr als 60 Handlungen, inzwischen waren es teure Städtereisen und Kreuzfahrten, auf die Wehlte sich begeben sollte. Wäre es ihm nicht gelungen, alle Bestellungen und Dienstleistungen sofort zu stoppen, wären etwa rund 75 000 Euro Kosten aufgelaufen. Erste Ermittlungen in der PD Görlitz 2002 ergaben, dass elf von 17 Bestellungen von Telefonen in der Führungsetage des Hauses getätigt wurden. Doch es dauerte noch Monate, ehe das Verfahren an Fahrt gewann. Erst als ein Freund des mittlerweile beschuldigten S. als Zeuge zahlreiche Vorgänge bestätigte, kam die Görlitzer Staatsanwaltschaft weiter.

Seit 14. Februar liegt dem Amtsgericht Görlitz eine Anklage gegen S. vor, bestätigte gestern Staatsanwalt Sebastian Matthieu auf Anfrage. Da es den Tatbestand des Mobbings im Strafrecht nicht gibt, wird dem Polizeiführer Körperverletzung im Amt vorgeworfen. Noch ist unklar, wie viele der Mobbing-Handlungen aufs Konto des Beschuldigten gehen. Nach Informationen des Innenministeriums ist S. seit 17. März suspendiert, hat in seiner Dienststelle, in der er nach der Polizeireform für die Verkehrspolizei zuständig ist, Hausverbot und muss auch mit einem Disziplinarverfahren rechnen. Er war gestern nicht zu erreichen.

Mittlerweile zieht die Affäre in der Neißestadt weitere Kreise. Staatsanwalt Matthieu bestätigte, dass auch einer seiner Kollegen mittlerweile Selbstanzeige erstattet hat. Seither werde in der Bautzner Staatsanwaltschaft geprüft, ob der Anzeigenerstatter während der Ermittlungen Strafvereitlung im Amt begangen hat. Der Betroffene wollte sich gestern zu dem Vorgang nicht äußern.

Staatsanwalt Matthieu bestätigte auch, dass seine Behörde Vorwürfe gegen den ehemaligen Görlitzer Polizeichef Ulrich Bornmann prüfe. Es geht um die Frage, ob er den Fall nicht mit der nötigen Eile aufgeklärt hat. Bornmann sieht diese Ermittlungen jedoch gelassen. Er sei es schließlich gewesen, der die ersten Ermittlungen im eigenen Haus angestoßen habe, sagte er gestern.

Von Thomas Schade

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1. Anmerkung von Karl Nolle: Am 6.4.2004 wandte sich Polizeihauptkommissar Wieland Wehlte an mich mit den Worten: "Helfen Sie uns. Wir kleinen Polizisten haben oben keine Lobby." Wir verabredeten uns in Görlitz und am 7.4.04 berichtete Andreas Harlaß in der BILD zum ersten mal über den Fall, der sich schon damals skandalös fast zwei Jahre hinzog, obwohl der Täter bekannt war.

2. Anmerkung von Karl Nolle: Dresden, den 5.5.2015
Der skurrile Vorgang hat sich vor 10 Jahren ereignet. Der Mobbingverursacher wurde verurteilt und mußte einen schmerzhaften Karriereknick akzeptieren. Die Sache ist längst "geheilt". Ich habe daher heute seinen im SZ-Artikel ausgeschriebenen Vor- und Nachnamen nur noch als S. anonymisiert ausgeschrieben.