Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 21.04.2005
Verschwundene Akten
Der Rückzug des CDU-Abgeordneten Wolfram Köhler war nicht freiwillig. In Riesa droht jetzt mehr als nur eine Neuwahl.
Als der bisherige Riesaer CDU-Landtagsabgeordnete Wolfram Köhler am Montag überraschend das Handtuch warf und sein Mandat vermeintlich freiwillig zurückgab, führte er dafür zahlreiche Gründe an: seine Enttäuschung über den uneffektiven parlamentarischen Betrieb im Landtag, die eigene Lustlosigkeit, als Berufspolitiker zu enden sowie den unwiderstehlichen Drang, sich künftig auf anderen Gebieten zu beweisen.
So weit, so gut. Nur leider hat der quirlige 37-Jährige bei seiner Aufzählung offenbar den wichtigsten Grund für seinen Rückzug „vergessen“. Nämlich die brisante Frage, ob er im September 2004 überhaupt für Sachsens CDU für den Landtag kandidieren durfte. Genau das prüft bereits seit Wochen der Wahlausschuss des Parlaments und viele Indizien sprechen inzwischen dafür, dass es sich bei Köhlers Bewerbung um eine illegale Aktion gehandelt hat. So soll der Kandidat die rechtlichen Voraussetzungen für einen Antritt nicht erfüllt haben, weil er nicht wie vorgeschrieben mindestens zwölf Monate vor der Wahl seinen Wohnsitz ununterbrochen in Sachsen hatte. Tatsächlich plante der Riesaer Ex-Oberbürgermeister und Ex-Olympia-Staatssekretär einen beruflichen Neuanfang in Niedersachsen. Eine Wohnung im Städtchen Sehnde bei Hannover war bereits gefunden, und Anfang 2004 drückten Köhlers Kinder mindestens zwei Tage die Schulbank in Niedersachsen.
Köhler argumentiert dagegen, er hätte sich niemals in Riesa abgemeldet und wäre daher zu Recht in den Landtag eingezogen. Beweisen können das nur die Unterlagen aus dem Einwohnermeldeamt der Elbestadt. Doch diese sind nach SZ-Informationen plötzlich verschwunden. Die Stadtverwaltung von Riesa, der Köhler jahrelang als Oberbürgermeister vorstand, legte dem parlamentarischen Prüfausschuss jetzt statt der angeforderten Akten nur einen belanglosen Computerausdruck vor, aus dem nicht hervorgeht, ob sich Köhler jemals abgemeldet hat oder nicht.
Ein einmaliger und skandalträchtiger Vorgang, der die Staatsanwaltschaft hellhörig machen dürfte und neben Köhler auch dessen Nachfolgerin im Riesaer Rathaus, Gerti Töpfer (CDU), unter Druck setzt.
Ungemach steht aber auch der CDU-Landtagsfraktion ins Haus. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, droht in Köhlers Wahlkreis eine Neuwahl und damit möglicherweise der Verlust von einem der 55 Mandate. Die bereits als Nachrückerin feststehende CDU-Landesvize Christine Clauß aus Leipzig wäre zudem wieder aus dem Rennen. Köhlers überhasteter Rückzug sollte das offenbar alles verhindern. Nach Informationen dieser Zeitung planten CDU-Vertreter im Wahlprüfungsausschuss, die Akte Köhler auf der nächsten Sitzung am 4. Mai vorfristig zu schließen. Damit dürfte es jetzt allerdings vorbei sein.
Von Gunnar Saft