Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 09.05.2005

Feierstunde mit Missklängen

 
Dresden. Es waren schon harte Töne, die gestern Mittag den Plenarsaal an der Elbe erfüllten. Musik als "Warnung vor dem Fall in die Schuld" lautete der Tenor der "Jüdischen Chronik", einer Komposition zum Gedenken an die Opfer des Faschismus. Entsprechend war ihr Charakter: atonal, mit viel Sprechgesang. Genau darum ging es bei der Feierstunde im Landtag. Zum 60. Mal jährte sich das Ende des Zweiten Weltkriegs - und damit auch das Ende der Terrorherrschaft der Nazis.

Darauf legte auch Regierungschef Georg Milbradt (CDU) den Schwerpunkt im ersten Teil seiner Rede. Der Tag erinnere daran, dass Deutschland erst "mit allen Mitteln besiegt werden musste, um Krieg, Unterdrückung und Terror ein Ende zu bereiten". Erlösung und Niederlage seien damit Hand in Hand gegangen. Diesen Zusammenhang aber wollten die geistigen Nachfolger der Nationalsozialisten verleugnen.

Damit war Milbradt beim unmittelbar politischen Teil seiner Rede angelangt. "Die NPD demonstriert heute in Berlin für das Vergessen", rief er in den Saal. Sie wolle leugnen, welche Verbrechen die Nazis begingen und welche Folgen ihre Ideologie für die Menschen hatte.

Die NPD-Vertreter hatten die Gedenkveranstaltung geschlossen boykottiert. Bereits zuvor hatten sie verkündet, sie würden an der zentralen Demo der NPD-Jugendorganisation in der Bundeshauptstadt teilnehmen, die dann doch abgesagt wurde. Die eigentliche Begründung aber hatte Uwe Leichsenring geliefert: Es sei "unangebracht", so der NPD-Fraktionsvize, "die Niederlage Deutschlands mit all ihren schlimmen Folgen für unser Volk zu feiern".

Apropos Boykott: Zwar waren Plenarsaal und Tribüne gestern gut besucht, von den Abgeordneten der anderen fünf Fraktionen aber war lediglich ein rundes Drittel erschienen. Sie zogen es offensichtlich vor, am Sonntag lieber in ihren Wahlkreisen zu bleiben - und das nach den NPD-Attacken auf die Feierstunde.

Milbradt aber ließ sich davon nicht beirren, sondern ging direkt über zum zweiten Teil seiner Rede. Tenor: Die Lehre von 1945 kann nicht Antifaschismus allein sein. Letzterer habe der SED vielmehr über Jahrzehnte als "Staatslegitimation" gedient und "erneute Unfreiheit, Unterdrückung und Verfolgung" gerechtfertigt. Auch nach Kriegsende hätten die Menschen in der DDR "noch einmal 44 Jahre lang auf Freiheit und Demokratie warten" müssen. Fazit:Erst mit 1989 sei das vollendet worden, so Milbradt, "was am 8. Mai 1945 begonnen worden war".

Das sorgte für einige Missklänge. Vor allem anwesende PDS-Vertreter warfen dem Regierungschef anschließend vor, er stelle die DDR auf eine Stufe mit dem Faschismus. Das sei unangemessen und verzerre Geschichte. Doch auch Politiker des Koalitionspartners SPD waren erkennbar sauer (siehe Stimmen). Der Vorwurf letztlich lautete: Milbradt habe die Gedenkveranstaltung mit einem CDU-Parteitag verwechselt.

Auf das Kulturprogramm im Plenarsaal hatte das wenig Einfluss. Nach einer Lesung aus Wolfgang Borcherts Drama "Draußen vor der Tür" setzte die "Jüdische Chronik" den Schlusspunkt mit einer eindringlichen Warnung: "Seid wachsam!" Vielleicht hat das ja doch der eine oder andere jener Abgeordneten gehört, die zwar anderen Fraktionen angehören, aber klammheimlich immer wieder NPD-Kandidaten ihre Stimme geben.


Stimmen

Herrmann Winkler (CDU): "Es war eine würdige Veranstaltung. Wichtig war der Aspekt in der Rede Milbradts, dass nach 1945 nicht sofort Freiheit für alle herrschte, sondern nur im westlichen Teil Deutschlands. Volle Freiheit gab es erst nach 1989."

Sebastian Scheel (PDS): "Der Regierungschef hat im zweiten Teil seiner Rede das Thema komplett verfehlt. Die Parallelen zwischen der Befreiung vom Faschismus und dem Ende der SEDin Ostdeutschland sind unangebracht."

Johannes Lichdi (Grüne): "Die Worte des Ministerpräsidenten waren angemessen und gut. Besonders positiv war, dass Milbradt die NPD abgewatscht und dafür auch Gründe genannt hat. Dass die Rechtsextremisten lieber in Berlin die Kapitulation des deutschen Reiches betrauern, zeigt ihre wahre Gesinnung."

Karl Nolle (SPD): "Aus meiner Sicht war der Tenor der Rede Milbradts nicht glücklich gewählt. Es war zu viel Parteitaktik im Spiel, zu kurz kam dafür das Staatstragende. Das ist dem Tag nicht angemessen."

Holger Zastrow (FDP): "Es war eine Veranstaltung in angemessener und würdiger Form. Milbradt hat alle Aspekte der wechselvollen deutschen Geschichte benannt. Genau so muss man's machen."

J. K.