Karl Nolle, MdL
ND - Neues Deutschland, 13.05.2005
Ein Brief von König Kurt
Sachsen: Biedenkopf fordert indirekt Milbradts Rücktritt
Die Affäre um Sachsens Landesbank bringt Regierungschef Milbradt immer mehr in Bedrängnis. Kurz bevor ein Untersuchungsausschuss die Arbeit aufnimmt, erhebt Amtsvorgänger Biedenkopf schwere Vorwürfe.
Die Anrede immerhin ist freundlich: »Lieber Georg«. hat Kurt Biedenkopf den Brief überschrieben, den er am 4. März an seine langjährige Dienstadresse schickte. Dann aber ist Schluss mit Nettigkeiten. In dem als »persönlich/vertraulich« gekennzeichneten. jetzt aber doch öffentlich gewordenen Schreiben geht Biedenkopf hart mit dem Verhalten von Sachsens Ministerpräsidenten Georg Milbradt in der Affäre um die Landesbank ins Gericht. Am Ende des vierseitigen Briefes legt der 75-Jährige seinem Erben den Rücktritt nahe. Für die Notlage der Bank »trägst Du die politische Verantwortung«; schreibt Biedenkopf: »Ich erwarte von Dir als meinem Nachfolger, dass Du zu dieser Verantwortung auch öffentlich stehst.«
Mit dem Brandbrief ist die seit Monaten schwelende Krise um die landeseigene Bank endgültig zur Staatsaffäre geworden. Während Milbradt und Finanzminister Horst Metz (beide CDU) die Verantwortung an Bankvorstände zu delegieren suchten, die deshalb teilweise ihren Hut nehmen mussten, wirft Biedenkopf auch den beiden Kabinettsmitgliedern entscheidendes Versagen vor - mit Formulierungen, die ähnlich bereits von Vertretern der Opposition zu hören waren. Dabei gelangt der Brief zu einem äußerst sensiblen Zeitpunkt an die Öffentlichkeit. Im April hat der Landtag auf Betreiben der PDS einen Untersuchungsausschuss eingesetzt. Wenn nächste Woche die Mitglieder bestimmt sind, kann das Gremium die Arbeit aufnehmen. Kernaufgabe ist, etwaige Versäumnisse von Regierungsmitgliedern in der Bankaffäre aufzuspüren.
Über jedes Detail unterrichtet
Dass es Versäumnisse gegeben hat, ist für Biedenkopf erwiesen - und zwar im Streit zwischen der Sachsen LB und einer Münchner Immobilienfirma um die gemeinsame Leasingtochter MDL. In der Auseinandersetzung um den Wert von Anteilen, in der Schadenersatzforderungen von 140 Millionen Eure drohen, soll die Bank eine aktienrechtliche Mitteilung gefälscht haben. Belege fanden Staatsanwälte Ende März bei einer Durchsuchung. Danach traten die Bankvorstände Michael Weiss und Rainer Fuchs zurück; Andrea Braun, Chefin der MDL und Lebensgefährtin von Weiss, wurde suspendiert.
Milbradt, schreibt Biedenkopf. habe die Manager »bis zuletzt verteidigt und geschützt«. Unkenntnis könne er nicht geltend machen: Er sei »über jeden Vorgang, jeden Prozess und jedes Urteil unterrichtet« gewesen. Laut einer von Milbradt im Landtag verlesenen Erklärung hatten die Bankchefs die politische Verantwortung übernommen. Diese, so Biedenkopf, trage aber »allein die Staatsregierung, konkret: der Ministerpräsident und sein Finanzminister«. Sie hätten Aufsichtspflichten vernachlässigt und so »entscheidende Ursachen für die verheerende Entwicklung« gesetzt.
Der Brief ist Biedenkopfs erste direkte öffentliche Kritik an seinem Nachfolger, über den er einmal geurteilt hatte, er sei ein »ausgezeichneter Fachmann, aber ein miserabler Politiker«. Doch der Gescholtene kehrte ins Geschäft zurück, nachdem Biedenkopf über eine Mietaffäre gestürzt war. In dem Brief deutet er an, dass er Milbradt hinter den damaligen Vorgängen vermutet.
Neue Belege für vergiftetes Klima
Die Opposition reagierte umgehend. Sebastian Scheel, designiertes PDS-Mitglied im Untersuchungsausschuss, kündigte an, Biedenkopf solle umgehend als Zeuge geladen werden. Zugleich betonte er, der Ex-Regierungschef trage seinerseits Verantwortung für fatale Strategiewechsel der Landesbank. Antje Hermenau, Fraktionschefin der Bündnisgrünen, sieht erneute Belege für das »vergiftete Klima« in der CDU und die »schwache Stellung« von Milbradt. Kontroversen in der CDU, die nach dem Verlust der Alleinherrschaft Im vergangenen September ausgelöst wurden, dürften nun wieder aufflammen.
Von Hendrik Lasch, Dresden