Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 25.06.2005
Strahlende Aussichten für Hirschfelde – oder: Herr Lehmann, bitte melden!
Eine unbedachte Äußerung im Landtag wird zur Steilvorlage für die Opposition.
Am Tag danach ist Heinz Lehmann noch immer ein wenig ratlos. „Ich wollte doch nur meine Rede etwas illustrieren“, sagt er. Nur einen Tag zuvor hatte er im Landtag mit dem Vorschlag, ein Atomkraftwerk in Hirschfelde bei Zittau zu bauen, für reichlich Schlagzeilen gesorgt. Dabei hatte er es doch nur gut gemeint, auf sinkende Energie-Preise und neue Arbeitsplätze gehofft. Ein Dutzend Mails aus der Region habe er erhalten, erzählt er. „Und fast alle zustimmend, fast euphorisch.“
Herr Lehmann ist kein Hinterbänkler. Nein, er sitzt in der ersten Reihe der CDU-Landtagsfraktion. Als Parlamentarischer Geschäftsführer und erster stellvertretender Vorsitzender der Fraktion. Und als Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit, Technologie und Tourismus gilt er zugleich auch als Vordenker seiner Partei. Inzwischen ist alles dementiert, was er vorausgedacht hatte.
Auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace hat sich inzwischen in der sächsischen „Atom-Affäre“ zu Wort gemeldet. Natürlich mit ernst zu nehmender Kritik an einem möglichen atomaren Alleingang Sachsens. Und sogar SPD-Generalsekretär Kai-Uwe Benneter, der zurzeit nach allem greifen muss, was das finstere Umfrage-Tief der SPD auch nur für eine Hundertstel-Sekunde erhellen könnte, hat sich wie ein Wahlkampf-Geier auf Herrn Lehmann gestürzt und die Republik vor einem drohenden Kurswechsel im geplanten Atomausstieg gewarnt. „Ich wusste nicht, dass der Wahlkampf sogar schon bis in die kleine Ecke des Sächsischen Landtags vorgedrungen ist“, wundert sich Herr Lehmann. Und was denkt man in Hirschfelde, dem Lehmann strahlende Aussichten voraussagte? „Ich bin ja für Atomkraftwerke, aber nicht unbedingt vor meiner Haustür“, versichert dort am anderen Ende der Leitung Heinz Rudolf, Hauptamtsleiter der Gemeinde. Hirschfelde ist eine 5 000-Einwohner-Gemeinde mit einer Arbeitslosigkeit von mehr als 25 Prozent. Da greift man nach jedem Strohhalm. Sogar, wenn am anderen Ende ein ganzes Atomkraftwerk hängt.
„Aufwertung des Ortes“
„Das wäre sicher eine Aufwertung des Ortes in seiner gesamten Popularität“, meint Rudolf. Auf jeden Fall wär’s mit Riesen-Protesten verbunden, ist er sicher. „Auch auf polnischer Seite.“ Der soll sich doch mal bei uns melden, bittet er Herrn Lehmann um einen Rückruf.
Doch mittlerweile sind die Aussichten für das Lausitzer Atomprojekt rapide gesunken. Denn dass das gar nicht geht mit dem Atomkraftwerk an der Neiße, das weiß Herr Lehmann inzwischen auch. „Die haben dort doch gar kein ausreichend großes Wasser-Reservoir“, erklärt der Diplom-Physiker. Loslassen von seiner Idee will er trotzdem nicht. „Der Verzicht auf Atomkraftwerke ist doch eine moderne Form der Maschinenstürmerei.“ Seine atomaren Ideen hat Herr Lehmann längst nicht stillgelegt.
Von Annette Binninger