Karl Nolle, MdL

SPIEGEL online, 04.07.2005

Wahlforscher halten Große Koalition für wahrscheinlich

 
Nach Ansicht von Wahlforschern wird eine Große Koalition nach den geplanten Neuwahlen am 18. September wahrscheinlicher. Grund sei das überraschende Erstarken der künftigen Linkspartei aus WASG und PDS. Deren Umfragewerte liegen derzeit bei zehn Prozent.

Berlin - "Wer nach der nächsten Bundestagswahl regieren will, braucht voraussichtlich 48 Prozent der Stimmen. Zurzeit steht Schwarz-Gelb bei 51, aber das kann sich bis Mitte September ändern", sagte der Geschäftsführer von Infratest dimap, Richard Hilmer, dem Berliner "Tagesspiegel". Hilmer macht für diese Entwicklung das Aufkommen der neuen Linkspartei verantwortlich: "Ich bin überrascht von der Dynamik", sagte der Wahlforscher. "Als das Linksbündnis begann, lag es bei fünf Prozent, jetzt bei zehn Prozent. PDS und WASG haben ihren Stimmenanteil in kürzester Zeit verdoppelt. Das kann Auswirkungen haben."

Hilmer befürchtet auch, dass Oskar Lafontaine rechte Wähler gewinnen wolle. Hilmer sagte: "Das Rechtspotenzial umfasst neun Prozent. Seitens Lafontaine gibt es offenkundig die Absicht, diese Wählerschichten zu gewinnen, also auch Wähler, die sich mit rechten Parolen anfreunden können."

Der SPD werden ihre linken Signale im neuen Wahlmanifest dagegen nach Einschätzung des Meinungsforschers Manfred Güllner kaum zu mehr Stimmen verhelfen. Güllner nannte die Forderung der SPD etwa nach einer Reichensteuer im Gespräch mit der Online-Ausgabe der "Financial Times Deutschland" ein "durchschaubares Wahlkampfmanöver".

Schröder-Berater: "Die SPD hat abgewirtschaftet"

Nach Einschätzung des Schröder-Beraters sind die Wähler in den vergangenen Jahren nicht wegen der Reformagenda oder einer angeblichen "Gerechtigkeitslücke" von der SPD abgerückt, sondern weil sie die Partei für unfähig halten, eine für notwendig erachtete Politik umzusetzen. "Die sind überzeugt: 'Die können es nicht'", sagte Güllner.

Unabhängig von dem Wahlprogramm sieht Güllner kaum Chancen für die SPD, aus ihrem Umfragetief zu kommen. "Die Partei hat auf allen Ebenen abgewirtschaftet, in den Kommunen, in den Ländern und jetzt auch im Bund. Sie hat keine Leute. Wie soll sie da den Trend drehen?" Dazu komme, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Rede am Freitag im Bundestag vor der Vertrauensfrage zu Recht beschrieben habe, dass die Partei nicht mehr hinter ihm stehe. "Aus diesem Dilemma kommt die SPD nicht heraus."

Güllner glaubt deshalb auch nicht, dass der Kanzler mit seinen nach wie vor hohen Beliebtheitswerten der SPD bei der Wahl entscheidende Pluspunkte bringen wird. "Die Kandidaten-Frage wird bei dieser Wahl keine entscheidende Rolle spielen", sagte der Forsa-Chef der "FTD". "Die Union gewinnt mit jedem Kandidaten. Diesmal würde sie sogar mit Edmund Stoiber gewinnen."