Karl Nolle, MdL

ND Neues Deutschland, 20.07.2005

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Sachsens Chefaufklärer Karl Nolle sondiert auch bei den Linken
 
Ein „Chefaufklärer“ strapaziert die Koalitionsdisziplin im sächsischen CDU/SPD-Bündnis. Aber SPD-Mann Karl Nolle verblüfft nicht nur durch auftauchende Dossiers, sondern auch durch eigenes unerwartetes Erscheinen.

Die Abkürzung SPE hat es noch nicht in den allgemeinen Sprachschatz der Politikbeobachter geschafft. Jüngste Ereignisse könnten ihr aber in Sachsen zum Durchbruch verhelfen. »SPE« (selbstständige politische Einheit) nennen Journalisten scherzhaft den SPD-Abgeordneten Karl Nolle. Der 60-jährige Sozialdemokrat zeichnete sich nie durch übergroße Parteiräson aus. Der eskalierende Konflikt um seine Rolle bei der Aufklärung einer Landesbank-Affäre, aber auch unerwartete Auftritte Nolles lassen Beobachter nun aber über dessen politische Zukunft rätseln.

In Sachen Landesbank schreckt Druckereibesitzer Nolle, der sich im Zweitberuf als politischer »Chefaufklärer« profiliert, nicht vor Kritik an Mitgliedern der Regierung zurück – obwohl seine Genossen das Kabinett in einer großen Koalition mittragen. Dossiers, die Nolle an die Presse leitete, belegen den Aufklärungseifer zwar als sachlich gerechtfertigt. Politisch bringen sie die SPD-Spitze gegenüber dem Koalitionspartner aber zunehmend in die Bredouille.
Nachdem über einen Maulkorb schon länger gemunkelt wurde, kulminierte der Streit um eine Pressemitteilung kürzlich im Brüllduell auf dem Fraktionsflur. Nolle muss seine Meinung nun privat veröffentlichen.

Doch nicht nur die Entfremdung von den eigenen Genossen, sondern auch überraschende Gastspiele bei einer anderen Partei sorgen für Spekulationen. Als am Montag Landtagsabgeordnete der Linkspartei neue Büros im künftigen Kulturzentrum »Rothaus« Chemnitz eröffneten, waren Genossen und Nachbarn gekommen – sowie Karl Nolle. Die Frage, ob sein Besuch der Gegnerbeobachtung diene, beantwortete er hintersinnig lächelnd und salomonisch »Ich beobachte.«
Nolles Chemnitzer Visite war bereits der zweite Auftritt bei den Sozialisten innerhalb weniger Tage. Auch dem Parteitag, der in Sachsen die Umbenennung von PDS in Linkspartei beschloss, stattete der Sozialdemokrat einen Besuch ab, bei dem er wie der Vertreter einer befreundeten Partei begrüßt und in der ersten Reihe platziert wurde. Zum zeitgleich stattfindenden Parteitag seiner eigenen Partei reiste Nolle erst im Anschluss.

Naheliegende Spekulationen über Wechselgelüste wehrt der Überraschungsgast ab. »Die SPD ist bei mir im Herzen drin«, beteuert Nolle, der gern auf jahrzehntelange sozialdemokratische Familientraditionen verweist. Gleichwohl macht der bekennende Parteilinke aus seiner Unzufriedenheit mit der Schröder- und Agenda-Partei kein Hehl. Weil diese ihr Markenzeichen als »Schutzmacht der kleinen Leute« verloren habe, seien Hoffnungen seiner Parteifreunde, die PDS werde aussterben, verfehlt, schrieb er seinen Genossen ins Stammbuch. Er befürchte vielmehr, dass dies »mit der SPD in Sachsen passieren kann, wenn wir nicht Inhalte und Mentalitäten ändern und weitere Bundeshypotheken zu unseren Lasten gehen«.

Über die »ausufernde Kritik« an Oskar Lafontaine aus seiner Partei kann Karl Nolle sich nur wundern, wie er gegenüber ND sagte. »Hunderte und Tausende Parteifreunde müssen sich dann ja mächtig geirrt haben, als sie ihn einst zum Parteivorsitzenden gemacht haben.« Wer Lafontaines Lebensweg verfolgt habe, könne jedenfalls nicht ernsthaft die Auffassung vertreten, der frühere SPD-Chef sei fremdenfeindlich. Den Vorwurf des Populismus hält Nolle für geradezu absurd: »Wenn die SPD eine Politik gemacht hätte, die von den Leuten gewollt und verstanden worden wäre, hätte sie keine Wahlniederlagen erleiden müssen.« Der Populismus-Vorwurf, so Nolle, »lenkt von eigenen Unfähigkeiten ab«.
Von Hendrik Lasch, Dresden