Karl Nolle, MdL

ND Neues Deutschland, 30.07.2005

Schröders Messlatte liegt im Juli fast auf Kohl-Höhe

Die Entwicklung am Arbeitsmarkt hat der Kanzler zu Beginn seiner Amtszeit zur Nagelprobe seiner Politik erklärt
 
Sein Pech, dass der Kanzler dereinst den Mund so voll nahm. Nun tun die Wähler vermutlich das, was er ihnen nach der Wahl 1998 anempfahl: »Wenn wir es nicht schaffen die Arbeitslosigkeit spürbar zu senken, dann haben wir es nicht verdient, wiedergewählt zu werden.« Sein Amtsvorgänger Helmut Kohl war mit 4,82 Millionen Arbeitslosen in sein letztes Wahljahr gestartet. Gerhard Schröder geht mit 4,77 Millionen Menschen ohne Job in den wiederum selbst verschuldeten verkürzten Wahlkampf. Satte Leistung nach sieben Jahren Regentschaft – und zahlreichen Arbeitsmarktrefomen, die der Kanzler im Bunde mit seinem Superminister Clement und auf Wunsch der Arbeitgeberverbände der Nation übergeholfen hat.

Nach seiner 98er eindeutigen Wahlempfehlung hätte Gerhard Schröder freilich schon nach vier Jahren der Verbleib im Kanzleramt verweigert werden müssen, denn besagte spürbare Senkung, die er hinbekommen wollte, war so toll nicht – ins Wahljahr 2002 startete er mit 4,29 Millionen Arbeitslosen. Dann allerdings ging es erst richtig los – die Nürnberger Kurve schnellte nach In-Kraft-Treten von Hartz IV Ende Januar dieses Jahres bekanntlich auf über fünf Millionen von Arbeitslosigkeit Betroffene.

Der Kanzler hat es verdient, derlei Stümperei um die Ohren gehauen zu bekommen. Der Kanzler hat verdient, beim Wort genommen zu werden. Nur eben nicht gerade von denen, die in den 16 Jahren ihrer Regierungsverantwortung den Beweis schuldig geblieben sind, es besser zu können. Denn neben allen anderen Sünden, die auf das Konto der Kohl-Regierung gingen, war es ja gerade die miese Lage auf dem Arbeitsmarkt, die die Wähler 1998 mit einer an Deutlichkeit kaum zu überbietenden Abwahl der Konservativen honorierten.

Womöglich hat sich Kanzler Schröder mit der Neuwahl-Überrumpelungsaktion am Abend des 22. Mai nach der verlorenen Düsseldorfer Landtagswahl selbst ein Bein gestellt. Denn die von der Bundesagentur vorhergesagte Besserung am Arbeitsmarkt – ein Sinken um 200.000 wollen die Nürnberger nicht ausschließen – kommt für ihn womöglich zu spät. Jetzt im heißen Sommer ist Wahlkampf und bis das Minus die Tinte wert ist, mit der es in irgendwelche Statistiken gemalt werden kann, dürfte es Oktober werden. Und vielleicht dann von einer Kanzlerin Angela Merkel nach dem Motto kommentiert werden: »Die Union ist auf gutem Wege.« Das wäre freilich ungerecht, aber das Timing für die vorgezogene Bundestagswahl hat nun mal Schröder und nicht Merkel gesetzt.

So sehr auch Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement nach den gestrigen Verlautbarungen von der Bundesagentur (es handelt sich wieder einmal um eine sprachliche Kostbarkeit, wenn angesichts 68.000 neu hinzu gekommener Arbeitsloser von einem weniger starken Anstieg die Rede ist) sich und die Regierung auf gutem Kurs sieht – er selbst ist es nicht. Denn selbst wenn es Rot-Grün am 18. September noch einmal schaffen sollte – was derzeit eher bezweifelt werden darf –, munkelt man in Berlin hinter vorgehaltener Hand, dass der ehemalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident keinen Sessel im Kabinett abbekommt.

Angesichts der Kaltschnäuzigkeit, mit der der Minister die Opfer der missratenen Arbeitsmarktpolitik von Rot-Grün abgebürstet hat und das Ende der Talsohle Monat um Monat wieder besseres Wissen beschwor, kann sich das Mitleid in Grenzen halten. Nur ist eben nach der Wahl weder Schwarz-Gelb noch eine Große Koalition Garant für einen Politikwechsel. Die nebenstehende Grafik aus der Bundesagentur mit den monatlichen Hiobsbotschaften bleibt uns also auch fürderhin erhalten – wenn es denn die Agentur bleibt. Geht es nach dem Willen der FDP, soll die Nürnberger Behörde ja abgeschafft werden. Und nicht etwa die Arbeitslosigkeit.
Von Gabriele Oertel