Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 02.08.2005
Teure Kündigungswelle bei der Sparkasse Riesa-Großenhain
Prozesse. Mitarbeiter klagen gegen ihren Rauswurf bei der Riesaer Sparkasse. Sie lässt sich die Verfahren eine Million Euro kosten.
Gerichtsverfahren gegen die eigenen Angestellten haben der Kreissparkasse Riesa-Großenhain Ausgaben von rund einer Million Euro beschert. Ein Ende der Prozesslawine ist noch nicht abzusehen. Sogar das Bundesarbeitsgericht in Erfurt befasste sich schon mit den Klagen.
Am 1. Dezember 2001 hatte das landkreiseigene Kreditinstitut 70 Mitarbeiter in die 100-prozentige Tochterfirma Dienstleistungsgesellschaft Futura (DLGF) ausgegliedert. Die Abteilungen Poststelle, Archiv, Geldbearbeitung, Lager, Buchhaltung, Aktions- und Veranstaltungsmanagement, Geldwäsche-Bekämpfung, Marktfolge und Informationstechnik wurden ausgelagert. Die DLGF sollte zu einem eigenständigen Unternehmen ausgebaut werden, so dass andere Sparkassen dessen Leistungen ebenfalls nutzen können.
Doch das Projekt wurde ein Flop. Nur zwei Jahre nach der Ausgliederung begannen Massenentlassungen. Ein Großteil der Mitarbeiter klagte gegen den Rauswurf. Mit Erfolg. Von mindestens 172 Klagen verlor die Sparkasse bisher 160 Verfahren. Dennoch zieht das Kreditinstitut weiter vor Gericht und gibt dafür enorme Summen aus. Bis auf 14 Mitarbeiter soll nun die DLGF reduziert werden.
Stefan Wittmann, Leiter der Sparte Finanzdienstleistung bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi in Sachsen: „Mit dem Geld, das die Sparkasse für die Prozesse bis jetzt ausgab, hätte man die Futura-Angestellten noch gut zwei Jahre weiter beschäftigen können.“ Seinen Berechnungen zufolge zahlte das Kreditinstitut seit Beginn der Klagen gegen die Kündigungen im Juni 2003 rund 35 000 Euro Gebühren für gerichtliche Verfahren, 75 000 Euro für Lohnfortzahlungen von 24 gekündigten Mitarbeitern, 30 000 Euro für Gerichtskosten und 500 000 Euro für Abfindungszahlungen. „Die Sparkasse geht davon aus, dass diese Zahlen jeglicher Grundlage entbehren“, sagt Sebastian Jentsch, Vorstandsassistent nach mehrmaliger Nachfrage.
Auch die Münchner Anwälte der Sparkasse sollen kräftig zulangen. „Die Anwaltskosten übersteigen bei Weitem die gesetzlichen Gebühren für gerichtliche Verfahren“, so Wittmann. Als Beispiel führt er an: Für ein Abmahnungsverfahren waren laut Rechtsanwaltsvergütungsgesetz 407,72 Euro Gebühren fällig. Die Münchner Anwälte kassierten dafür rund 3 250 Euro Honorar von der Kreissparkasse (Aktenzeichen ist der Redaktion bekannt). Von Juli 2004 bis Juli diesen Jahres hätten sie rund 350 000 Euro abgerechnet.
Die Sparkasse wird von München aus betreut, obwohl die Kanzlei eine Niederlassung in Leipzig hat. Zu fast allen Terminen sei einer der Rechtsanwälte von München nach Leipzig geflogen, von da aus per Mietwagen nach Riesa gefahren.
Vor den Münchner Anwälten ließen sich Sparkasse und DLGF von einer Dresdner Kanzlei vertreten. „Wegen Erfolglosigkeit wurden ihnen die Aufträge entzogen“, weiß Thilo Korn, Fachanwalt für Arbeitsrecht, der 18 Futura-Mitarbeiter vertritt. Nur einen Unterschied gäbe es: „Die Dresdner Sparkassen-Anwälte haben billig verloren, die Münchner verlieren teuer.“
Verdi ruft den Rechnungshof
Stefan Wittmann hat eine Rechnung über sämtliche Prozesskosten der Sparkasse aufgemacht und wird diese im August dem sächsischen Finanzminister vorlegen. „Außerdem werde ich den Rechnungshof informieren, wie die Sparkassenvorstände unter den Augen von Landrat Rainer Kutschke, der zugleich Verwaltungsratsvorsitzender der Sparkasse ist, Geld verschleudern“. Der Landrat selbst war gegenüber der SZ zu keiner Stellungnahme bereit. Er ließ nur über Pressesprecherin Kerstin Thöns ausrichten, dass „er sich dazu nicht äußert, da schwebende Gerichtsverfahren anhängig sind.“ Auch von den Vorständen der Kreissparkasse, Dieter Meier und Andrea Kriebel, war bislang nichts zu erfahren.
Seit zwei Jahren stapeln sich die Akten zum Thema Futura auf den Tischen von Anwälten und Richtern, und kein Ende ist in Sicht. Die Sparkasse will noch immer die meisten Futura-Mitarbeiter los werden. 33 erhielten bereits im Juni 2003 ihre betriebsbedingte Kündigung, 28 klagten, 17 bekamen in zweiter Instanz vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) in Chemnitz Recht. Die anderen fanden entweder eine andere Arbeit oder stimmten einem Vergleich zu. Weil das LAG Revision gegen das Urteil nicht zuließ, legte die Sparkasse beim Bundesarbeitsgericht in Erfurt eine Nichtzulassungsbeschwerde ein. Auch diese wurde abgewiesen.
Da die Verfahren noch laufen, muss die Sparkasse die gekündigten Mitarbeiter weiter beschäftigen. Tut sie aber nicht. Stattdessen wurden im Februar dieses Jahres weitere 23 Kündigungen an Futura-Mitarbeiter geschickt, elf von ihnen bekamen das Schreiben trotz gewonnenen Prozesses zum zweiten Mal. Auch wenn die Mitarbeiter nicht mehr arbeiten dürfen, um die monatlichen Gehaltszahlungen kommt das Kreditinstitut nicht herum. 24 daheimgebliebene Mitarbeiter bekommen seit der Kündigung weiterhin ihren Monatslohn. Ihre Jobs machen jetzt andere. Firmen in Chemnitz, Magdeburg und Potsdam haben die Aufgaben übernommen, obwohl einige Verträge mit Futura noch bis zum 30. September diesen Jahres laufen. Die Sparkasse zahlt doppelt.
Fehlentscheidung eingeräumt
Gewerkschafter Wittmann ist empört: „Es kann nicht sein, dass hier Arbeitsplätze vernichtet und in andere Landkreise gegeben werden und die eigenen Leute schickt die Sparkasse zum Arbeitsamt.“ Gegenüber den Futura-Mitarbeitern wurden die Kündigungen damit begründet, dass Qualität und Quantität ihrer Arbeit nicht stimme. „Wir sehen natürlich zu, dass wir die geforderten Leistungen gut, aber auch billig bekommen“, sagt Sparkassensprecher Ralf Krumbiegel. In einigen Bereichen hätten die Angestellten nicht die geforderten Qualifikationen erbracht.
Indirekt räumt die Kreissparkasse unternehmerische Fehlentscheidungen ein. Aus deren Pressestelle heißt es: „Trotz verstärkter Bemühungen 2002 und 2003 fand das Angebot der DLGF durchgängig Ablehnung, da kein Vertrauen in die neue Gesellschaft bestand.“
Für Verdi-Vertreter Stefan Wittmann war das Scheitern vorhersehbar: „Dass die Visionen illusorisch sind, habe ich schon dem damaligen Sparkassenchef Hans-Dieter Bock gesagt. Aber damals hat man mich nur ausgelacht.“
Von Julia Polony