Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 19.08.2005

"Deformation des Denkens"

Ellen Großhans im Interview mit Kurt Biedenkopf
 
Dresden. Der frühere sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) ruft die Ostdeutschen auf, die Westdeutschen nicht in einen Topf zu werfen.

Frage: Wie zufrieden sind Sie mit dem Wahlkampf Ihrer Partei?

Kurt Biedenkopf: Nach den zurückliegenden Irritationen ist der Wahlkampf gut in Gang gekommen. Angela Merkel überzeugt in ihren öffentlichen Auftritten. Der Wirbel um die Äußerungen von Edmund Stoiber war Strohfeuer. Sie können die Ostdeutschen durch solche Bemerkungen vielleicht ärgern. Das Wahlverhalten wird dadurch langfristig jedoch nicht beeinflusst.

Macht Angela Merkel glaubhaft, dass sie die neuen Bundesländer gut vertreten kann?

Sie muss Deutschland gut vertreten. Die ständige Trennung von alt und neu ist nicht besonders hilfreich. Frau Merkel hat deshalb zu Recht immer betont, dass ihre Politik auf ganz Deutschland bezogen ist. Den Osten, von dem wir hier dauernd reden, gibt es so überhaupt nicht. Die Unterschiede zwischen Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern sind ähnlich groß wie zwischen Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein. Wir machen in Ostdeutschland einen Fehler, wenn wir das alles immer in einen Topf werfen. Es ist sehr wichtig, dass auch aus ostdeutscher Sicht die Besonderheiten im Westen anerkannt werden.

Sind die Pläne der Union, das Arbeitslosengeld II regional anzugleichen, der richtige Weg?

Die Angleichung der Arbeitslosengeld-II-Zahlungen in Ost- und Westdeutschland ist falsch. Ich befürworte daher den Plan von Angela Merkel, nach der Kaufkraft der Regionen zu unterscheiden.

Die FDP hat vorgeschlagen, die Zahlungen an den unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in den einzelnen Bundesländern auszurichten.

Die FDP ist der Union hier eindeutig hinterhergelaufen. Der Vorschlag der Regionalisierung von Angela Merkel kam deutlich früher und diese Linie halte ich auch für richtig.

Merkel will eine Koordinierungsstelle für den Aufbau Ost im Kanzleramt und mehr Kompetenzen für den Koordinator schaffen. Ist dies sinnvoller als ein Ministerposten?

Wir sprechen hier von einer Querschnittsstelle. Die Idee, einen Koordinator zu haben, ist richtig. Falsch war die Idee, einen Minister damit zu beauftragen. Dieser stößt bei allen anderen Ministerien auf Blockaden, deshalb hat das bei Manfred Stolpe auch nicht funktioniert. Dagegen ist das Bundeskanzleramt der geeignete Ort für die Koordination.

Halten Sie das Vorhaben von Paul Kirchhof, das Steuersystem radikal zu vereinfachen, für praktikabel?

Ich begrüße zunächst die Funktion von Herrn Kirchhof als designierter Finanzminister. Ob durch seine Vereinfachung des Steuersystems eine Finanzierungslücke entsteht, wird sich zeigen. Sein Ziel ist grundsätzlich richtig, er weiß jedoch wie jeder andere, dass man so etwas nicht im Hau-Ruck-Verfahren von heute auf morgen machen kann.

Werden Sie im sächsischen Wahlkampf noch eine aktive Rolle spielen?

Nicht durch Wahlkampfveranstaltungen. Einige Kollegen haben mich zwar eingeladen, aber ich bin in dieser Zeit im Ausland.

Wie stehen Sie zu dem Wahlkampfmotto des sächsischen Bundestagsabgeordneten Henry Nitzsche "Arbeit, Familie, Vaterland"?

Was ist daran schlecht? Wer die Verwendung des Wortes Vaterland kritisiert, den kann ich nur bedauern. Hier kommt eine gewisse Deformation des Denkens zum Ausdruck, die den nationalsozialistischen Missbrauch solcher Worte signalisiert. Aber wir müssen uns doch nicht über Generationen hinweg diesen Missbrauch vorhalten lassen.