Karl Nolle, MdL
Süddeutsche Zeitung, 20.08.2005
SPD: Hochburg der Hoffnungslosigkeit
Die älteste deutsche Volkspartei ist wie gelähmt – auch der Kanzler-Bonus verhilft ihr nicht über die 30-Prozent-Marke.
Große Überraschung und noch größere Ratlosigkeit. So lässt sich die Stimmungslage in großen Teilen der SPD am Ende dieser Woche zusammenfassen. Eine Woche, die nach allen herkömmlichen Regeln der Demoskopie eigentlich einen Aufschwung für die Sozialdemokraten hätte erwarten lassen.
Der unionsinterne Streit über die Ost-Kritik von Edmund Stoiber, der überraschend gute Zulauf zu den Wahlkampfveranstaltungen des Kanzlers, der Popularitätsvorsprung Gerhard Schröders vor Angela Merkel – vieles sprach aus Sicht der SPD dafür, dass die Partei vier Wochen vor der Wahl zumindest die psychologisch wichtige Marke von 30 Prozent in den Umfragen würde überspringen können. „Die Stärke von Gerhard Schröder wird auch die Partei mitziehen“, hatte SPD-Chef Franz Müntefering noch vor einer Woche verkündet.
Mit dem Politbarometer am Freitag kam die Ernüchterung. Denn die Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen haben klar gemacht: Alle wichtigen Institute sehen im Moment eine, wenn auch knappe, schwarz-gelbe Mehrheit. Die Werte in der Sonntagsfrage scheinen für die SPD ohnehin seit Wochen wie betoniert zu sein. Die Forschungsgruppe diagnostiziert zudem ein deutliches Plus für die Union in der politischen Stimmung. Und auch Schröders Vorsprung vor Merkel ist geschrumpft. Der Kanzler zieht die Partei nicht nach oben. Wenn überhaupt jemand zieht, dann die Partei den Kanzler – nach unten.
Sogar die Demoskopen selbst sind überrascht. Für Matthias Jung von der Forschungsgruppe ist der Stimmungsumschwung zu Ungunsten der SPD eine neue Erfahrung. Frühere Jahre hätten gelehrt, dass im Laufe des Wahlkampfes ein Stimmenzuwachs für die Regierungsparteien festzustellen sei. Und die Entwicklung der vergangenen Woche habe vermuten lassen, dass es auch diesmal so sein würde. Jetzt aber, sagt Jung, „ist dieser Trend abgebrochen“. In den kommenden vier Wochen seien zwar noch Überraschungen möglich, zumal „der Wähler seine Wahlentscheidung sehr kurzfristig“ fälle. „Wir müssen aber mit einer nachhaltigen Beeinträchtigung des SPD-Ergebnisses rechnen.“ Und der Rückstand von Rot-Grün sei sowieso „uneinholbar".
Was tun, SPD? In der Parteispitze wird weiter darauf verwiesen, dass bis zu 50 Prozent der Bürger sich noch nicht festgelegt hätten. Man werde nun noch einmal „einen Zahn zulegen“, hieß es. Doch schon bei SPD-Politikern in der zweiten Reihe verfangen solche Durchhalteparolen nicht mehr. „Es ist vorbei“, entfuhr es einem sozialdemokratischen Insider angesichts der jüngsten Zahlen. Nur öffentlich will natürlich niemand diese Depression eingestehen.
Die Bevölkerung, so sagen es die Zahlen der Meinungsforscher, ist in Wechselstimmung und hat offenbar viel Toleranz für die Unstimmigkeiten im schwarzgelben Lager. Umgekehrt scheinen die Rechtfertigungen des Regierungslagers für die Reformpolitik und ihre unbefriedigenden Ergebnisse keine Wirkung mehr zu entfalten. Gerhard Schröder selbst durfte dies am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung „Berlin Mitte“ erleben. Von Moderatorin Maybrit Illner mit den Ergebnissen seiner Regierungszeit konfrontiert, wehrte sich Schröder gut 50 Minuten, erklärte und argumentierte – und das Publikum saß wie eingefroren dabei. Zaghafte Versuche einzelner Zuschauer, den Kanzler zu beklatschen, verebbten in der fast gespenstisch anmutenden Atmosphäre des Fernsehstudios.
Am selben Tag hatte SPD-Bundesgeschäftsführer Kajo Wasserhövel die zweite Phase des Wahlkampfes eingeläutet. Auf Plakaten, in Fernseh- und Kinospots setzt die Partei nun ganz auf die Person Schröders – und droht damit, in eine strategische Falle zu laufen: Da wirbt ein Kanzler für sich, von dem nur noch notorische Optimisten glauben, dass er wirklich noch einmal Kanzler werden kann. Ein attraktives Angebot für potenzielle Wähler sieht anders aus.
Auf der anderen Seite hat die SPD keine Alternative. Der Versuch, den Wahlkampf darauf auszurichten, die Partei als Juniorpartner in eine große Koalition zu retten, wäre zum Scheitern verurteilt. Spitzenmann Schröder stünde für eine solche Regierung nicht mehr zur Verfügung, und die Begeisterung in der Partei für ein schwarz-rotes Bündnis ist ohnehin überaus begrenzt; ein Mobilisierungseffekt wäre auf diesem Weg nicht zu erreichen.
Von Nico Fried und Christian Krügel