Karl Nolle, MdL
Dresdner Morgenpost, 29.08.2005
Spitzel-Affäre wird zum Politskandal
DRESDEN - Böser Angriff auf die Pressefreiheit und eine handfeste Spitzel-Affäre: Die Staatsanwaltschaft Chemnitz ließ die Morgenpost ausspionieren, um an Namen von Presse-Informanten zu gelangen. Dafür organisierten sich die staatlichen Schnüffler sämtliche Telefondaten eines Morgenpost Reporters. Pikant: bei der Aktion von Anfang an dabei - die sächsische Staatsregierung.
Rückblende: Die Morgenpost hatte am 25. Mai exklusiv über die Razzia der Antikorruptionseinheit INES bei Ex-Wirtschaftsminister Kajo Schommer (65, CDU) berichtet. Die Folge: ein Aufschrei hoher Parteifreunde. Und prompt leitete Oberstaatsanwalt Claus Bogner am 26. Mai ein Ermittlungsverfahren ein - zunächst gegen unbekannt Nur einen Tag später verfügte Sachsens Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm unter einem speziellen Aktenzeichen 24AR B179/05 Bericht zu erstatten. Die Ermittlungen sollten in Chemnitz geführt werden. Einziges Ziel: die „undichte Stelle" finden.
Inzwischen ist die Ermittlungsakte mehr als 400 Seiten dick. Jeder Schritt war penibel mit der Generalstaatsanwaltschaft und teilweise sogar dem Justizministerium abzustimmen. Besonders in der Frage der Telefonspitzelei gab es einen regen Schriftwechsel und zahlreiche Telefonate. Das belegen Aktenvermerke des ermittelnden Staatsanwaltes Möller.
Danach musste er die Anordnung für die Herausgabe der Telefondaten mit der Generalstaatsanwaltschaft und sogar mit dem Ministerium abstimmen. Erst nachdem es grünes Licht aus Dresden gegeben hatte, konnte Möller den Antrag beim Amtsgericht stellen.
Und noch eine Idee der emsigen Ermittler stieß auf wenig Gegenliebe: Am liebsten hätten sie die Redaktionsräume der Morgenpost durchsucht Leider mussten sie mangels Rechtsgrundlage davon absehen.
Nicht einmal vor den eigenen Leuten schreckte der Staatsanwalt zurück. Er beantragte die Herausgabe der Telefondaten von sage und schreibe 19 Mitarbeitern der Anti-Korruptionseinheit INES (darunter Staatsanwälte) und 29 Kriminalisten des Landeskriminalamtes (LKA). Ein Antrag, der beim zuständigen Amtsrichter auf Ablehnung stieß. Selbst eine Beschwerde bei der nächst höheren Instanz wurde unter Vorsitz von Richter Christian Wirth abgeschmettert. Grund: In den Akten konnte die Kammer nichts erkennen, was auch nur einen der Ermittler in Verdacht gebracht hätte.
Genehmigt wurde nur die Herausgabe der Telefondaten von Morgenpost-Redakteur Ronny Klein (Handy und Dienstanschluss). Nachdem die Telekom nicht in der 1 age war, seinen Dienstapparat auszulesen, wurde kurzerhand ein neuer Antrag gestellt. Die Daten seines Privatanschlusses wurden nach einem Beschluss freigegeben.
Inzwischen wurde aus dem Ermittlungsverfahren gegen unbekannt ein Verfahren gegen den INES-Staatsanwalt Andreas Ball. Der steht nach Angaben von Oberstaatsanwalt Bernd Vogel unter Verdacht, nicht nur Dienstgeheimnisse verraten zu haben. Dazu komme der Versuch der Strafvereitelung im Amt. Eine Begründung dafür gibt es nicht. Immerhin: Die Razzia bei Kajo Schommer wurde weder ver- noch behindert.
Sachsens Justizminister Geert Mackenroth (CDU) behauptete gestern, dass es keine Einflussnahme seitens seines Ministeriums gegeben habe. Währenddessen forderte Strafrechtsexperte und SPD-Bundestagskandidat Michael Sturm den Rücktritt des Ministers.