Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 30.08.2005

Affäre um Telefonspitzelei in Sachsens Justiz

Justizminister verteidigt Ermittlungsmethoden der Chemnitzer Staatsanwaltschaft - Suche nach „undichten Stellen" in Antikorruptionseinheit
 
Dresden/Chemnitz. Die Chemnitzer Staatsanwaltschaft wird möglicherweise selbst ein Fall für die Justiz. Im Zusammenhang mit der Suche nach einer „undichten Stelle" im Umfeld der sächsischen Antikorruptionseinheit „Ines" griffen die Strafverfolger zu einer umstrittenen Ermittlungsmethode. Anfang Juni 2005 erwirkte die Behörde die Herausgabe von dienstlichen und privaten Telefonverbindungsdaten eines Journalisten der „Dresdner Morgenpost". Dessen Arbeitgeber will dagegen nun „alle rechtlichen Schritte in die Wege leiten", hieß es gestern aus der Chefetage des betroffenen Verlages.

Sachsens Justizminister Geert Mackenroth (CDU) stellte sich gestern demonstrativ vor die Chemnitzer Staatsanwaltschaft, die mit den „Ines"-Ermittlungen betraut ist. Er könne nicht erkennen, dass der Boden der Rechtsstaatlichkeit verlassen wurde. „Es gab keine Telefonüberwachung, keinen Lauschangriff und keinen Angriff auf die Pressefreiheit", so Mackenroth vor Journalisten. Auf den Gang des Verfahrens habe das Justizministerium keinen Einfluss genommen. Er plane auch nicht, per Weisungsrecht einzugreifen, so Mackenroth. Sachsens Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm betonte, dass es bei der Datenabfrage nicht um Gesprächsinhalte ging. Da der Journalist aber Beteiligter in einem Verfahren wegen Geheimnisverrates sei, so der Leitende Oberstaatsanwalt der Chemnitzer Behörde, Wolfgang Schwürzer, dürften die Verbindungsnachweise abgefragt werden. Auf den erhobenen Daten könne nach seinen Worten „unter Umständen eine Indizienkette aufgebaut werden".

Der Vorgang, durch den der Journalist ins Fadenkreuz geriet, war brisant. Fahnder der Antikorruptionseinheit hatten Ende Mai 2005 das Privathaus des früheren sächsischen Wirtschaftsministers Kajo Schommer (CDU) durchsucht. Beobachtet wurde das Geschehens von dem Pressevertreter. Er hatte offenbar zuvor einen Tipp über die Razzia erhalten. Über den Ablauf der Aktion wurde am nächsten Tag von ihm exklusiv berichtet.

Die „Ines"-Führung leitete daraufhin wegen der vermeintlich „undichten Stelle" Ermittlungen gegen unbekannt ein. Das Verfahren gab Schwalm wenig später nach Chemnitz ab. Danach ging Schommer, gegen den die „Ines"-Einheit wegen Beihilfe zur Untreue ermittelt, in die Offensive und beschuldigte die Antikorruptionseinheit, eine „Rufmordkampagne" angezettelt und für die Pressebeteiligung gesorgt zu haben.

Vor knapp zwei Wochen schließlich wurde bekannt, dass „Ines"-Staatsanwalt Andreas Ball in eine andere Abteilung der Dresdner Staatsanwaltschaft versetzt wurde. Der Wechsel wurde mit Umstrukturierungen begründet. Letztes Wochenende schließlich räumte die Staatsanwaltschaft Chemnitz ein, dass gegen Ball wegen der Verletzung von Dienstgeheimnissen und versuchter Strafvereitelung im Amt ermittelt wird. Bestätigt wurde auch, dass die Staatsanwaltschaft die Herausgabe' der Telefondaten des Journalisten erwirkt hatte.

Offenbar wollten die Strafverfolger darüber hinaus von weiteren Personen die Telefonverbindungen wissen. Dies sei vom Amtsgericht Chemnitz aber abgelehnt worden, hieß es gestern.

Generalstaatsanwalt Schwalm sagte, dass bei der Chemnitzer Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit „Ines"-Verfahren zwei weitere Ermittlungen wegen Geheimnisverrats anhängig sind.

Derweil forderte die PDS-Landtagsfraktion wegen der „Telefonspitzelei" Schwalms Rücktritt. Zudem erwägt sie die Beantragung einer Sondersitzung des Sächsischen Landtages. Der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle sieht ein „neues Kapitel vom streng riechenden schwarzen Filz in Sachsen". Er erkennt genügend Stoff für einen weiteren Untersuchungsausschuss. Die FDP-Fraktion verurteilte den „erneuten Eingriff in die Pressefreiheit". Sie ermahnte Mackenroth zu „mehr Aufklärungswillen". Die Grünen im Landtag rügten den „Schnüffelwahn der Staatsanwaltschaft".
von Samira Sachse