Karl Nolle, MdL

Agenturen ddp-lsc, 16:21 Uhr, 30.08.2005

Sachsens Presse in Aufruhr

Staatsanwaltschaft beschaffte sich Telefonverbindungsdaten von gut informiertem Journalisten
 
Dresden (ddp-lsc). Die sächsische Presselandschaft ist in Aufruhr. Blätterübergreifend ist seit wenigen Tagen von einer «Schnüffel-Attacke» die Rede - und von einem massiven Angriff auf die Pressefreiheit durch die Justiz des Freistaats. Am Wochenende war bekannt geworden, dass ein Redakteur des Boulevardblattes «Dresdner Morgenpost» ins Visier der Chemnitzer Staatsanwaltschaft geraten ist. Sein Fehler: Er war zu gut informiert.

Der Reporter hatte am 25. Mai einen Scoop gelandet: Exklusiv berichtete seine Zeitung in Bild und Wort von einer Hausdurchsuchung der sächsischen Antikorruptionseinheit INES am Vortag beim früheren Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU). Der langjährige Ressortchef unter Sachsen-König Kurt Biedenkopf (CDU) steht im Verdacht der Beihilfe zur Untreue, weil er nach dem Ausscheiden aus seinem politischen Spitzenamt als Berater des Recyclingunternehmens Duales System Deutschland (DSD) zu Unrecht 600.000 Euro erhalten haben soll.

Nach der Razzia sprach Schommer von einer «Rufmordkampagne». Mehrere führende CDU-Landespolitiker sprangen ihm zur Seite, Landtagsfraktionschef Fritz Hähle verstieg sich sogar zu dem Vorwurf der «Hexenjagd» - und auch Justizminister Geert Mackenroth (CDU) meldete sich zu Wort und kritisierte, dass durch die Teilnahme von Journalisten an der INES-Aktion die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen berührt seien. Die «Dresdner Morgenpost» hatte ein Foto des frühmorgens im Schlafanzug von den INES-Fahndern überraschten Schommer großflächig auf der Titelseite abgedruckt.

Die Antikorruptionseinheit selbst veranlasste Ermittlungen, um die «undichte Stelle» in ihrem Umfeld zu finden. Das Verfahren - zunächst gegen unbekannt - wurde wenige Tage später an die Staatsanwaltschaft Chemnitz abgegeben.

Die konzentrierte ihre Ermittlungen schließlich bald auf einen Staatsanwalt, den sie als Informanten des Boulevardreporters vermutete. Das war der Grund, weshalb die Ermittler beim Amtsgericht Chemnitz beantragten, die Telefonverbindungsdaten sowohl vom Staatsanwalt als auch vom Journalisten heranziehen zu dürfen - und das Gericht ließ es zu.

Ein rechtsstaatlicher Vorgang, wie Justizminister Mackenroth betont, der auf die Strafprozessordnung verweist. Von den Beschlüssen will er erfahren, zu keinem Zeitpunkt jedoch Einfluss auf die Ermittlungen genommen haben. Einen Angriff auf die Pressefreiheit vermag er nicht zu erkennen.

Sachsens Regierungssprecher Thomas Raabe sprach am Dienstag von einer «hochbrisanten juristischen Materie». Für den Dresdner Verfassungsrechtler Jochen Rozek liegt der Fall dagegen klarer: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts handele es sich bei der Beschaffung der Verbindungsdaten um einen «schwerwiegenden Eingriff in das Fernmeldegeheimnis und in die Pressefreiheit». Er äußerte zugleich Zweifel, dass das Amtsgericht die rechtlichen Vorgaben von Karlsruhe berücksichtigt hat.

Die obersten Verfassungsrichter hatten in einem Urteil vom 12. März 2003 entschieden, dass eine Erhebung von Telefonverbindungsdaten von Journalisten zwar nicht grundsätzlich Pressefreiheit und Fernmeldegeheimnis verletzt. Voraussetzung für die Datenerhebung seien jedoch Straftaten von erheblicher Bedeutung - und dazu dürfte die Verletzung von Dienstgeheimnissen, die dem Dresdner Staatsanwalt vorgeworfen wird, wohl nicht gehören.
von Tino Moritz

ddp/tmo/kfr
301621 Aug 05