Karl Nolle, MdL

Frankfurter Rundschau, 06.09.2005

Von Worten und Taten

Königstein in Sachsen oder: Warum es nicht ganz einfach ist, mit der NPD fertig zu werden
 
Fragt man Frieder Haase, den Bürgermeister von Königstein in der Sächsischen Schweiz, warum in seiner wunderschönen Stadt so viele Leute NPD wählen, dann zuckt er mit den Schultern, beugt sich ein wenig vor hinter seinem Schreibtisch, holt tief Luft und sagt: "So einfach ist das alles nicht."

Womit der 44-jährige Bauingenieur, seit 2001 als parteiloser Bürgermeister im Amt, nichts beschönigen will. Es ist wirklich nicht so einfach. Und wäre es das doch, der Ort hätte weniger Probleme. Er holt einen Zettel mit Zahlen, Wahlergebnissen. Königstein, 3000 Einwohner, 2212 Wähler. Bürgermeisterwahl 2001: 287 Stimmen für den NPD-Kandidaten Uwe Leichsenring. Bundestagswahl 2002: 145 Stimmen für die NPD, Kommunalwahl 2004: 260 Stimmen. Damals waren das 21,8 Prozent. Bei der Landtagswahl, bei der die NPD es mit über neun Prozent ins Dresdner Parlament schaffte, waren es 246 Stimmen.

Er habe mal nachgefragt, erzählt Frieder Haase, warum Leute die NPD wählen. Der eine nannte als Grund, er habe kürzlich einen Strafzettel bekommen. Ein anderer war verärgert, weil sein Nachbar dauernd vor seiner Garage parkte. "Die Leute sind sehr einfach gestrickt", sagt Haase. Ja, und dann Uwe Leichsenring, der Fahrschullehrer, der im Grunde die NPD in Königstein sei. Der 38-Jährige sitze mit seiner Lebensgefährtin Carmen Steglich im Stadtrat, sei außerdem Landtagsabgeordneter und jetzt Direktkandidat für den Bundestag. Jeder zweite Jugendliche mache bei ihm den Führerschein. Er sei intelligent, könne gut reden, mache Eindruck. "Hier befasst sich doch keiner mit Wahlprogrammen der NPD", sagt Haase. Niemand kenne die Widersprüche, niemand schaue hinter die unhaltbaren Versprechen. "Das kommt doch gar nicht an beim Otto Normalverbraucher."

In der Sächsischen Schweiz, so der Verfassungsschutz Sachsen, haben sich über die Jahre "dauerhaft rechtsextreme Strukturen" gebildet. In Königstein ist es Fahrschullehrer Leichsenring, in Sebnitz der Arzt Johannes Müller, in Reinhardtsdorf-Schöna die Klempnerfamilie Jacoby. Man ist braun und bürgerlich, die NPD ist keine verbotene Partei, also bitte.

Natürlich gibt es auch in Königstein Leute, die dagegen halten. Die Geld sammeln für eine vietnamesische Familie, deren Gemüseladen im Oktober von Unbekannten zertrümmert wurde. Oder es gibt etliche Hotelbesitzer, die sich weigern, der NPD Räume für Versammlungen zu vermieten und deshalb auf Geld verzichten. Darüber, so Haase, rede nur keiner.

Königstein ist eine kleine Stadt und Dresden mit seinem Landtag, mit den Grünen-Abgeordneten, die den zwölf NPD-Abgeordneten kein "guten Tag" wünschen, mit der PDS, die sich gern wegdreht, wenn die NPD redet, mit einem SPD-Fraktionsvorsitzenden Cornelius Weiss, der NPD-Abgeordnete manchmal minutenlang verächtlich anblickt - Dresden ist vom nahen Königstein aus weit weg. Und was im Landtag passiert, die "einfach gestrickten" rund 200 Königsteiner Dauer-NPD-Wähler verstünden es sowieso nicht, meint der Bürgermeister.

Ist manchmal auch nicht einfach. Vor allen Dingen, wenn die kleine Königsteiner Politikwelt so gar nicht zusammenpassen will mit dem, was im Landtag geschieht. "Sehen Sie", sagt Bürgermeister Haase und klickt auf seinem Computer die Webseite des Tourismusvereins Elbsandsteingebirge an. Auf der Seite mit Unterkünften in Königstein wirbt auch NPD-Stadträtin Carmen Steglich, Leichsenrings Freundin, für ihr Haus. Vorsitzender des kleinen Tourismusvereins ist Ivo Teichmann, ein bekanntes SPD-Stadtratsmitglied und Parteifreund des SPD-Politikers Weiss aus dem Landtag. "Wie sollen die Leute so etwas verstehen?", sagt Haase.

Über den manchmal beträchtlichen Abstand zwischen Worten und Taten, zwischen Land und Landtag, könnte auch Lutz Richter etwas erzählen. Der 31-Jährige ist Kreisgeschäftsführer der neuen Linkspartei, der umgetauften PDS im Kreis Sächsische Schweiz. Vor einigen Wochen gab die Landespartei die Marschrichtung aus, die Linke müsse der NPD 10 000 Stimmen abjagen. Was ihr sicher auch gelingen wird in einigen Gegenden Sachsens, aber gewiss nicht in Königstein und der Sächsischen Schweiz. "Leichsenring bekommt am 18. September 15 Prozent", schätzt Richter. "Das ist ernsthaft möglich." Dass die Linke dort im Schlepptau Gysis und Lafontaines im Protestwählerreservoir der NPD wildern könne, glaubt er nicht. Auch wenn die NPD nach der Landtagswahl an Glanz verloren hat. Auch wenn sie im Landtag kaum noch etwas macht und zuletzt nur durch einen Steine werfenden Abgeordneten auffiel. Und die peinliche Geschichte von der Deutschen Stimme, dem NPD-Blatt, das man in Polen drucken ließ und gleichzeitig gegen EU und "Lohndrücker" wetterte. Dennoch, meint Richter, die NPD habe feste Strukturen in der Sächsischen Schweiz, habe Geld und mit 150 Mitgliedern mehr als SPD, FDP und Grüne zusammen. Wo die Kommunen aus Geldmangel aus der Jugendarbeit ausstiegen, ging die NPD rein mit Sonnenwendfeiern, Reiterspielen, mittlerweile sogar Kinderbetreuung.

Über Worte, Taten und die Abstände dazwischen sagt eine "Begebenheit" viel, die sich im August zutrug in jenem Reinhardtsdorf-Schöna, wo die NPD mehr als ein Fünftel der Stimmen holt. Eine Wahlkampfveranstaltung, die CDU hatte eingeladen. Der Bundestagsabgeordnete Klaus Brähmig war da. Matthias Rößler, früherer sächsischer Wissenschaftsminister, nach der Landtagswahl von CDU-Chef Georg Milbradt zum Unionsbeauftragten für Patriotismus und Heimatgefühl gemacht, hielt einen Vortrag. Es ging um die Frage, ob wir eigentlich noch stolz sein können auf unser Land. 50 Leute waren gekommen, obwohl die Veranstaltung spärlich angekündigt worden war. 50 Leute, darunter zwölf von der NPD. Leichsenring vorneweg, seine Lebensgefährtin, andere, vier Skinheads. Aber auch lokale CDU-Vertreter und, als "Fremdkörper", Petra Schickert vom Mobilen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus aus Pirna, die sich fleißig mit einer Bekannten Notizen machte und anschließend meinte: "Der blanke Wahnsinn."

Die CDU hatte einen schweren Stand gegen den gewieften Leichsenring, der schnell das Wort ergriff, die Patriotismusdebatte in der CDU begrüßte und spottete, es müsse ja nicht überall NPD draufstehen, wo NPD drin sei. Niemand, erzählt Sozialarbeiterin Schickert, niemand aus der CDU habe sich gegen solche Frechheiten gewehrt. Natürlich ging es um Martin Hohmann, den früheren CDU-Politiker aus Hessen, der über seine "Tätervolk"-Äußerungen aus der Union flog. Nach wie vor, habe Brähmig verkündet, sei er mit Hohmann befreundet und könne das Geschrei gar nicht verstehen. Dann ging es noch um die durchgescheuerten Knie an den Hosen bundesdeutscher Politiker - eine hämische Anspielung Leichsenrings auf den Kniefall Willy Brandts in Warschau, auf das Anerkennen von Schuld gegenüber Polen und Israelis. Sozialarbeiterin Schickert notierte sich, CDU-Mann Brähmig habe am Ende der Veranstaltung gesagt, er habe keine durchgescheuerten Knie.

Überhaupt das Ende der Veranstaltung. Gegen 19.45 Uhr war Schluss im Sport- und Freizeittreff. Die Nationalhymne wurde gespielt und da standen sie dann auf, die CDU-Politiker, die NPD-Politiker, die vier Glatzen, die Sozialarbeiterin, die nicht glauben konnte, was sie da gerade erlebte. Sie sangen gemeinsam die Nationalhymne, die Schwarzen und die Braunen, und sicherlich hat der Patriotismusbeauftragte Rößler innerlich drei Kreuzzeichen geschlagen, dass kein Fernsehteam dabei war.
von Bernhard Honnigfort


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Die NDP in Sachsen

Bei den Landtagswahlen in Sachsen 2004 erhielt die NPD 9,2 Prozent und zog mit zwölf Abgeordneten ins Dresdner Parlament. Sie lag 0,6 Prozentpunkte hinter der SPD. Heute käme die NPD laut Umfragen landesweit auf gerade noch vier Prozent. Bei der Bundestagswahl am 18. September wollen die Rechtsextremen in drei Wahlkreisen Direktmandate erobern: In Ostsachsen um Zittau, Riesa-Großenhain im Norden und in der Sächsischen Schweiz und dem benachbarten Weißeritzkreis, die ihre regionalen Hochburgen sind. Dass ihnen das gelingt, halten Beobachter aber für ausgeschlossen. Bho