Karl Nolle, MdL

Frankfurter Rundschau, 31.08.2005

Wie zu alten Zeiten?

Sachsens Justiz spähte einen Boulevard-Reporter aus
 
Am 24. Mai, einem Dienstag, erhielt Sachsens Ex-Wirtschaftminister Kajo Schommer frühmorgens unangenehmen Besuch. "Ines" stand vor der Tür - Ines, der Name steht für die Anti-Korruptionseinheit von Polizei und Staatsanwaltschaft in Sachsen. Die Ermittler machten sich gleich an die Arbeit, Christdemokrat Schommer, noch im Schlafanzug, schaute verdutzt zu. Sie durchsuchten sein Haus und beschlagnahmten Unterlagen. Sie hatten Biedenkopfs früheren Wirtschaftsminister der Beihilfe zur Untreue im Verdacht - es ging um viel Geld, um Schommers, so der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle, "kleinen Nebenverdienstvertrag von 600 000 Euro mit dem Grünen Punkt."

An jenen Dienstagmorgen standen nicht nur Anti-Korruptionsermittler vor Schommers Tür, sondern auch Ronny Klein, ein Reporter der Dresdner Morgenpost, was zur Folge hatte, dass die Öffentlichkeit am Tag danach von der Durchsuchung erfuhr - aber auch, wie ein sächsischer Ex-Minister im Schlafanzug aussieht.

Auf der Suche nach dem "Leck"

Die CDU schäumte vor Wut, und die Staatsanwaltschaft Chemnitz nahm Ermittlungen auf. Nicht gegen Schommer, im Blickpunkt standen Reporter Klein und die Frage, wer ihm von dem Durchsuchungstermin erzählt hatte. Die Ermittler machten sich auf die Suche nach dem "Leck", fanden es offensichtlich aber nicht, auch wenn Andreas Ball, ein Staatsanwalt der Ines-Gruppe, angeblich gegen seinen Willen versetzt wurde.

Ende vergangener Woche wurden Details der Ermittlungen bekannt, die nicht nur die sächsischen Zeitungen, sondern auch Opposition und Teile der mit der CDU regierenden SPD im Dresdner Landtag in Aufregung versetzten. Auf der Suche nach dem "Leck" innerhalb der Antikorruptionseinheit hatten die Ermittler auch den Journalisten Klein systematisch ausgespäht. Sie hörten ihn zwar nicht ab, sammelten aber seine privaten und beruflichen Telefondaten, angeblich auch die Geo-Koordinaten seines Mobiltelefons, mit denen sich rekonstruieren lässt, wo sich der Reporter wann aufhielt.

Sachsens Justizminister Geert Mackenroth (CDU) hat das Vorgehen der Staatsanwaltschaft am Montag verteidigt. Es habe keinen Lauschangriff gegeben, auch keinen Fall von Bespitzelung. Von einem Angriff auf die Pressefreiheit könne keine Rede sein.

Dämpfer für Korruptionsbekämpfer

Das sei eine Katastrophe, urteilte Martin Dulig, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion: "Es ist wie zu alten Zeiten." Die Grünen kritisierten, so billig könne sich der Minister nicht aus der Verantwortung stehlen; die PDS fand, das Prinzip der Verhältnismäßigkeit sei eklatant missachtet worden. Die FDP klagte, wieder einmal zeige die sächsische Justiz keinerlei Respekt vor der Freiheit der Presse. Innerhalb der Landtagsopposition hegt man den Verdacht, bei der Aktion gegen den Journalisten und Ines-Ermittler gehe es auch darum, den Korruptionsbekämpfern, die es gewagt hatten, gegen einen Ex-CDU-Minister vorzugehen, einen Dämpfer zu verpassen.

Der Deutsche Journalisten-Verband erwägt rechtliche Schritte wegen des "skandalösen" Falles. Die Rechtslage erlaubt Ermittlern zwar nicht nur das Erheben von Telefondaten, wenn es sich um Straftaten von erheblicher Bedeutung wie Landfriedensbruch, Drogenhandel oder Verbreitung von Kinderpornografie handelt, mittlerweile fallen auch minderschwere Delikte darunter.

Doch wird das Vorgehen gegen Kollegen und Medien auch in den Reihen der Gewerkschaft der Polizei verurteilt. "Unangemessen", sagte Sachsens GdP-Vorsitzender Matthias Kubitz. Wer gegen Korruption vorgehe, sei auf vertrauliche Tipps angewiesen. Doch wer rufe in Zukunft noch einen Polizisten an, wenn er damit rechnen müsse, dass dessen Telefondaten ausgespäht würden?
von Bernhard Honnigfort