Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 11.11.2005

Fraktionen zahlen jetzt durch die Hintertür

Abgeordnetenzulagen. Die Öffentlichkeit wurde über Monate getäuscht.
 
Viele Jahre lang funktionierte die Rundum-Versorgung für Sachsens Landtagsabgeordnete bestens. Neben der monatlichen Diät erhielt man nämlich auch üppige Zulagen – bis das Bundesverfassungsgericht Letzteres im Juli 2000 als völlig unangemessen monierte und auf Abschaffung drängte. Trotz des Urteils ließ man sich in Sachsen zunächst viel Zeit – mehr als vier Jahre. Erst im Herbst 2004 strich der Landtag die Zulagen bis auf einige erlaubte Ausnahmen.

Justitia droht bald Arbeit

Der öffentliche Druck wurde dabei so groß, dass kurzfristig auch andere Abgeordnetenprivilegien zumindest überprüft wurden – erwähnt sei die kostenlose Zweitwohnung in Dresden. Am Ende reichte es aber nur für die Abschaffung des Sterbegelds (8 568 Euro) für Hinterbliebene von Politikern und einigen Mini-Einsparungen bei den Rentenbezügen. Letzteres fiel leicht, da der Großteil der aktuellen Mandatsträger nicht betroffen sein wird.

Dennoch feiern sich seitdem fast alle Fraktionen für ihre vermeintliche neue Bescheidenheit. Die wird nun allerdings durch aktuelle SZ-Recherchen erschüttert. Ergebnis: Trotz des Verfassungsurteils wird längst wieder fleißig in die Kassen gegriffen. Allein durch eine Änderung des sächsischen Abgeordnetengesetzes im Sommer 2005, deren Brisanz zunächst nur Insidern klar war, können heute statt Zulagen so genannte Aufwandsentschädigungen gezahlt werden. Einzige Bedingung: Deren Höhe ist auf 332,34 Euro im Monat begrenzt.

Diese neue Möglichkeit wird bereits fleißig genutzt. Allein die CDU bedenkt alle neun Arbeitskreisvorsitzenden damit, die PDS zahlt schon in sechs Fällen, SPD und NPD in jeweils zwei und die Grünen einmal. Lediglich die FDP-Fraktion widersteht bisher.

Doch es geht noch heftiger. Vier Fraktionen leisten sich mittlerweile sogar illegale Sonderzahlungen: So überweisen CDU, SPD, PDS und NPD ihren parlamentarischen Geschäftsführern jeden Monat eine halbe Grunddiät (2 142 Euro) zusätzlich, ohne dass dies ein Gesetz ausdrücklich erlaubt. Während dabei ausgerechnet Sachsens Rechnungshof alle Augen zudrückt, halten Juristen diese Praxis für „tollkühn“ sowie „verfassungswidrig“ und erwarten bald erste Klagen.

Doch auch legal sprudelt der öffentliche Geldbrunnen wieder kräftiger. Nachdem noch vor Jahresfrist das Extrageld für Präsidiumsmitglieder komplett wegfiel, erhalten sie nun 59 Euro im Monat. Über diese Summe dürfen sich erstmals auch 26 Abgeordnete der Enquete-Kommission des Landtags freuen, die dem Problem der Abwanderung entgegenwirken sollen. Und selbst die Mitglieder von vier Ausschüssen wie der Kontrollkommission und dem Stasi-Bewertungsausschuss können sich neuerdings über 59 Euro pro Sitzung freuen, Vorsitzende über das Doppelte.

Auch Ersatz für das offiziell abgeschaffte Sterbegeld ist schon längst da. Politiker-Erben erhalten nun 4 284 Euro „plus weitere Kosten auf Nachweis“. Offenbar tut im Landtag nicht nur neue Bescheidenheit, sondern mehr Ehrlichkeit Not.
Von Gunnar Saft