Karl Nolle, MdL

Frankfurter Rundschau, 24.12.2005

Schrumpfende NPD wittert "Verrat"

Nach dem dritten Austritt aus der sächsischen Landtagsfraktion verbreitet die Partei Verschwörungstheorien
 
Sichtlich irritiert reagiert die sächsische NPD auf die Austritte von drei Landtagsabgeordneten in nur einer Woche. Sie interpretiert die rasante Schrumpfung als "Verrat" und vom Verfassungsschutz gesteuert. Andere hoffen auf einen Zerfallsprozess.

Berlin · "Reisende soll man nicht aufhalten!", hatte die NPD im Dresdener Landtag noch am Mittwoch nach dem zweiten Austritt aus den eigenen Reihen, den ihres Abgeordneten Klaus Baier, gehöhnt. "Weitere mögliche Parteiverräter" sollten gefälligst umgehend vortreten. Was prompt geschah: In der Nacht zum Freitag teilte Jürgen Schön seinen Austritt aus Partei und Fraktion mit.

Dass auch der Leipziger NPD-Abgeordnete nun das Handtuch warf, kam für seine Parteifreunde völlig "überraschend" und trifft sie nach eigenen Angaben "hart". Denn Schön war bis zum Frühjahr Geschäftsführer der sächsischen NPD und hatte bis Freitag als Schatzmeister deren Mittel unter seinen Fittichen. "Wir sind", räumt NPD-Fraktionssprecher Holger Szymanski ein, "in einer schwierigen Lage. Die Basis ist verunsichert." Selbst, dass noch weitere "Abgänge" folgen, will man nicht restlos ausschließen.

Derzeit flüchtet sich die NPD noch in Verschwörungstheorien. Die Austritte hätten keinen internen, politischen Hintergrund, sondern seien vom Verfassungsschutz systematisch " gesteuert". Zumindest an den Austritten der Abgeordneten Mirko Schmidt und Klaus Baier sei der Geheimdienst aktiv beteiligt. Gezielt streut die NPD Spekulationen, beide seien in Geldnöten und hätten für den Verfassungsschutz gearbeitet.

Ein Verdacht, den das Landesamt für Verfassungsschutz nur zum Teil von sich weist. "Eine nachrichtendienstliche Zusammenarbeit mit Landtagsabgeordneten können wir definitiv ausschließen", sagte der Sprecher der Behörde, Alrik Bauer, der FR. Ob die beiden NPD-Abgeordneten aber vor ihrerWahl mit dem Amt kooperiert hätten, könne man aus "operativen" Gründen weder bestätigen noch dementieren. Sicher ist, dass NPD-Mann Schmidt schon "geraume Zeit" vor seinem Parteiaustritt am vergangenen Wochenende den Verfassungsschutz um Unterstützung gebeten hatte. Er und auch der wenige Tage später ausgetretene Klaus Baier wurden dann im Rahmen des Aussteigerprogramms vom Verfassungsschutz betreut. "Wir haben da aber keineswegs gegraben oder sie bekniet", versichert Bauer. Die beiden werden jetzt polizeilich geschützt.

Als Hintergrund des rasanten Abschmelzens der ursprünglich zu einem Drittel aus Westdeutschen bestehenden NPD-Fraktion sehen Beobachter eine Verquickung aus persönlichen Zwistigkeiten, Ost-West-Konflikten und politischem Richtungsstreit. Während die "Ossis"auf Normalität im Auftreten ihrer Partei setzten, dränge "Wessi"- Fraktionschef Holger Apfel auf Konfrontation und radikal-ideologischen Kurs mit nationalsozialistischen Anklängen.

Ob die Austritte auch einen Zersetzungsprozess der NPD andeuten, ist offen. "Ich glaube nicht, dass das der NPD langfristig schadet", meint die Rechtsextremismus-Expertin der sächsischen Linkspartei, Kerstin Köditz. Die NPD sei durch die Austritte "massiv in der Defensive. Davon gehen deutliche Signale an andere Mitglieder aus", urteilen hingegen sächsische Verfassungsschützer. Doch selbst wenn der aktuelle Aufruhr die NPD schwäche, "hätten wir immer noch andere rechtsextreme Gruppierungen, die weiter sehr aktiv sind".
Vera Gaserow