Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 18.02.2006

Fahnder hätten den Entführer fassen können

Sonderkommission gerät in Bedrängnis - Innenminister für „gläsernen Verbrecher"
 
Dresden. Am Tag, an dem sich das Medienecho entfaltet, ist der Innenminister gefordert. Die Freude über die glückliche Befreiung der 13-jährigen Stephanie aus dem Martyrium ihrer Geiselhaft überlagern kritische Fragen zur Ermittlungsarbeit. Albrecht Buttolo (CDU) ist hin- und hergerissen zwischen seiner Betroffenheit und seiner Rolle als Dienstherr der Polizei. „Eigentlich hätte das Mädchen gefunden werden müssen", sagt er in das Mikrofon eines Fernsehsenders. Doch dazu hätte der Datenabgleich nach geltenden Regeln funktionieren müssen.

Der 15-köpfigen Sonderkommission sei die aktuelle Anschrift des mutmaßlichen Geiselgangsters Mario M. nicht bekannt gewesen. So lautete die Version, die Dresdens Polizeipräsident Dieter Hanitsch in einer turbulenten Pressekonferenz am Donnerstag verbreitet hatte. Auch der Innenminister musste von einer Informationspanne ausgehen, als er gestern Mittag vor die Kameras trat. Nahe liegend schien ein Fehler bei der Übertragung von Adressen durch das Einwohnermeldeamt an das polizeiliche Register.

Doch gestern Abend sickerte eine Version durch, die den Ermittlern viel mehr Ärger bereiten könnte. Danach verfügten sie doch über die aktuelle Anschrift von Mario M., die nur knapp einen Kilometer von Stephanies Elternhaus entfernt liegt. Rund IOOO Namen umfasst die Kartei jener Dresdner, die wegen sexueller Auffälligkeiten registriert sind. Im Stadtteil Striesen hatte die Polizei bereits 56 Wohnungen über prüft. Da sie völlig im Dunklen tappte, kam sie jeweils nur bis zur Türschwelle. Ob sie bei Mario M. Verdacht geschöpft hätte? Seine Vorstrafe, sein Wohnumfeld, seine Einzelgängerrolle: Für einen Besuch der Sonderkommission war er prädestiniert. Doch die übersah den Namen schlicht.

Buttolo, Vater zweier erwachsener Töchter, weiß, was das Volk denkt: „Der Schutz der Bürger steht vor dem Recht eines Verbrechers." So antwortet er auf Fragen nach verschärften Maßnahmen gegen Sexualstraftäter. Doch eine Sicherheitsverwahrung dürfe nur das letzte Mittel sein. Buttolo appelliert an die Gesellschaft, fordert mehr Wachsamkeit. Wie es möglich sei, fragt er, dass ein Alleinstehender unbeobachtet ein junges Mädchen in seine Wohnung verschleppen könne? Solle es erforderlich sein, werde er sich für Veränderungen im Meldewesen stark machen. In der DDR, so erinnert er sich, hätten Sexualstraftäter stets eine „Markierung" im Melderegister getragen. Der Datenschutz muss in dieser Stimmung hinter dem „gläsernen Verbrecher" zurückstehen.

Stephanie hatte Glück. Sie lebt. Auch beim Zugriff der Polizei half ihr ein Schutzengel. Vielleicht war es auch die Umsicht der Polizei, die den Zugriff erfolgreich machte. Auch das SEK, dessen Einsatz Kritiker nachträglich fordern, hat sich nicht immer mit Ruhm bekleckert.
von Hubert Kemper