Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 01.03.2006

Polizei überprüft erst spät Sexualstraftäter

Fall Stephanie. Auch nach der Analyse der Arbeit der Dresdner Soko bleiben manche Fragen offen.
 
Schneller als erwartet haben Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) und Landespolizeipräsident Klaus Fleischmann gestern Mittag umfassend zu den Ermittlungen im Fall Stephanie Rede und Antwort gestanden. Eine Frage jedoch konnten beide nicht beantworten: ob die Soko dem Peiniger des 13 Jahre alten Kindes tatsächlich früher auf die Spur gekommen wäre, wenn die Beamten früher von Mario M.s Existenz gewusst hätten.

Datenabfrage kam spät

Fakt ist: Laut Fleischmann konzentrierte sich die Soko erst Anfang Februar stärker auf die Option, Stephanie könnte in die Fänge eines Sexualtäters geraten sein. Denn erst da wurde die entsprechende Datenbankabfrage gemacht – und zusätzlich noch fehlerhaft. Fleischmann: „Das muss nun durchaus kritisch hinterfragt werden.“

Von den mehr als 50 einschlägig vorbestraften Sexualtätern, die in den drei Postleitzahlenbereichen leben, durch die Stephanies Schulweg führt, wurden in den verbleibenden zwei Wochen von Anfang Februar bis Stephanies Befreiung am 15. Februar 22 überprüft. Auch mit einer kompletten Liste der dann wohl weit mehr als 100 Verdächtigen hätte die Polizei kaum mehr als die Alibis dieser 22 Männer überprüft – es sei denn, sie hätte früher begonnen. „Diese Prüfungen sind schwierig“, sagte Fleischmann. „Wir können dort nicht einfach klingeln, weil so das Opfer hochgradig gefährdet würde.“

Das Problem war, dass von Anfang an mangels Hinweisen in fünf gleichwertige Richtungen ermittelt werden musste, so Fleischmann: Neben der Entführung nannte er einen Unfall, ein Tötungsdelikt, einen Selbstmord und ein freiwilliges Ausreißen des Kindes als wahrscheinlich. „Bis zum Auffinden des Opfers gab es für alle diese Optionen zahlreiche Hinweise.“ Doch niemand hat das Kind gesehen, nachdem es das Elternhaus verlassen hatte. Daher wurden zahllose Menschen – Familie, Freunde, Klassenkameraden, Nachbarn, Passanten – befragt. Das Stadtviertel, die Elbe, der Große Garten und selbst die Heide wurden mehrfach abgesucht. „Die Soko überprüfte auch, ob Stephanie nach Tschechien verschleppt wurde.“ Für Irritationen sorgten mehrere – falsche – Zettel, die die Polizei auf Stephanies Spur führen sollten. Laut Polizei waren zwei „Dumme-Jungen-Streiche“ von Kindern und einer von einem „Trittbrettfahrer“ darunter. Zufällig hatte ein 31-Jähriger dann Stephanies wirklichen Hilferuf entdeckt – ebenfalls ein kleiner Zettel.

Wenig hilfreich habe sich der Fahndungseifer eines Dresdner Vereins erwiesen, heißt es im Innenministerium. Offenbar war damit „missing people e. V.“ gemeint.

Beamte besser schulen

Was den Fehler der Computer-Abfrage angeht, lehnte Buttolo eine Stellungnahme zu dienstrechtlichen Konsequenzen ab. Alle Beamten sollen jedoch intensiver in der Datenrecherche ausgebildet werden, sagte er. Neben dieser Panne entdeckten die Ermittler einen weiteren Schwachpunkt, der jedoch bei der Fahndung keine Rolle gespielt habe: So wurden die Daten von Menschen, die innerhalb Dresdens umgezogen sind, unzureichend im Polizei-System gespeichert. Mario M.s neue Anschrift war nur bekannt, weil er Ende 2004 – nach seinem Umzug nach Striesen – mit einer neuen Straftat, einer Körperverletzung, aufgefallen war.

Fleischmann verteidigte Stephanies Befreiung, die von zivilen Soko-Beamten mit Hilfe eines Schlüsseldienstes realisiert wurde. Der Einsatz des Spezialeinsatzkommandos hätte nicht nur länger gedauert, er hätte auch zu einer Eskalation führen können.
Von Alexander Schneider