Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 10.03.2006

Alle Bürger im digitalen Visier

Datenrausch. Die meisten Sachsen waren schon einmal ein Fall für das Landeskriminalamt.
 
Im jüngsten Entführungsfall Stephanie war es eine verhängnisvolle Panne bei der Nutzung der Polizeicomputer, die den Umgang der Behörden mit den Meldedaten sächsischer Bürger in ein schlechtes Licht rückte. Ein mutmaßlicher Kinderschänder war in den einschlägigen Datenbanken zwar erfasst, wurde aber bei der Tätersuche schlichtweg übersehen.

Mittlerweile bringt aber nicht nur dieser Fehler das gesamte Kontrollsystem in Verruf. Das hat nämlich in den vergangenen Jahren ein Ausmaß erreicht, welches die meisten Bürger unangenehm überraschen dürfte. Nach SZ-Informationen stöbert das Landeskriminalamt bereits seit 1997 (!) – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – regelmäßig in den Datenbeständen der Einwohnermeldeämter. Davon betroffen sind aber nicht nur registrierte Straftäter, sondern auch jede Menge unbescholtene Bürger.

Der Grund: Wer heute im Freistaat umzieht, und sei es nur innerhalb eines Ortes, oder wer nach Eheschließungen seinen Namen ändert, wird automatisch ein Fall für die Sicherheitsbehörde. So sind die Meldeämter verpflichtet, diese Datenänderungen an das Landeskriminalamt weiterzuleiten. Dort gleicht man diese mit dem polizeiinternen Auskunftssystem ab, in dem die Daten von Straftätern erfasst sind, und nimmt notfalls Korrekturen vor. Erst wenn diese Überprüfung beendet ist, schreibt das Gesetz vor, alle Angaben über unbescholtene Bürger unverzüglich zu löschen. Eine einmalige Praxis in Deutschland, wenn man von Ländern wie Bayern absieht.

Kontrolleur ist unzufrieden

Die Dimension dieser regelmäßigen Kontrolle, die Sachsens Meldegesetz ausdrücklich erlaubt, ist enorm. So gab es laut dem Statistischen Landesamt allein seit 1997 mehr als eine Million Umzüge über sächsische Gemeindegrenzen hinweg. Dazu kommen die statistisch nicht erfassten innerörtlichen Wohnungswechsel und Datenänderungen bei Todesfällen oder Eheschließungen, die allesamt im Landeskriminalamt für Arbeit sorgen.

Sachsens Datenschutzbeauftragter Andreas Schurig räumt offen Unbehagen über diese Praxis ein: „Eine unzureichende und unbefriedigende Lösung.“ Aus seiner Sicht lassen sich aber die Polizeicomputer kaum anders auf dem aktuellen Stand halten. Eine Alternative wäre, Straftäter direkt in den Datenbanken der Meldeämter als solche auszuweisen. „Damit würde man aber noch viel stärker in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen eingreifen.“ Zudem fehlen dafür die rechtlichen Voraussetzungen.

Andreas Schurig ist auch dafür verantwortlich, zu kontrollieren, ob das Landeskriminalamt alle nicht benötigten Angaben wieder löscht. Laut dem Landesbeauftragten sind in der Regel aber nur Stichproben möglich. Bürgern, die sichergehen wollen, bleibt damit nur eins: Ein offizieller Antrag auf Herausgabe aller über sie im Polizei-Auskunftssystem gespeicherten Daten.
Von Gunnar Saft