Karl Nolle, MdL

DIE WELT, 09.09.2006

Dresdner Sandkastenspiele

Sachsens Regierungschef sieht sich mit wilden Putschgerüchten konfrontiert.
 
Kanzleramtschef Thomas de Maizière (CDU) kennt das Gerücht. Er dementiert es. Immer und immer wieder, geradezu auffällig oft. Das sorgt in Dresden für Spekulationen. Dort beschäftigt man sich ernsthaft mit folgendem Szenario: Bei der nächsten Landtagswahl in drei Jahren zieht de Maizière als Spitzenkandidat und Ministerpräsident in spe ins Rennen - nachdem Amtsinhaber Georg Milbradt (CDU) zuvor entmachtet worden ist.

Dieses Planspiel, so versichern Beobachter der sächsischen Szene, habe Kanzlerin Angela Merkel bereits abgesegnet, sie könne Milbradt nicht leiden. Weiter heißt es, eigentlicher Strippenzieher des geplanten Putschs sei Altministerpräsident Kurt Biedenkopf. Diesen schmerze nach wie vor, dass er 2001 nach parteiinternen Querelen vorzeitig abtreten musste und ausgerechnet von Milbradt beerbt wurde. Seinerzeit hatte "König Kurt" den Finanzminister als würdigen Nachfolger ausgeguckt - der hieß damals de Maizière.

Dem Volksmund zufolge steckt in jedem Gerücht ein Funken Wahrheit. Im konkreten Fall weist die kolportierte Geschichte sogar eine innere Logik auf. Milbradt - spröde, störrisch, unnahbar - wird von der sächsischen Union nicht eben geliebt. Gleiches gilt für die Landtagsfraktion, die es nie verwunden hat, dass Milbradt 2004 die absolute CDU-Mehrheit verspielte, die in der Biedenkopf-Ära pure Selbstverständlichkeit war. Nun muss man mit der Neun-Prozent-Partei SPD regieren, die Gefallen daran findet, den Koalitionspartner zu demütigen.

Jüngst setzte sie durch, dass mit Eva-Maria Stange (SPD) eine Ex-SED-Genossin, die nach der Wende Chefin der dogmatischen Lehrergewerkschaft GEW war, neue Wissenschaftsministerin wird. In der CDU, die in Sachsen besonders konservativ sind, führte das zu heftigen Ausschlägen auf der nach oben keineswegs offenen Schmerzskala. Milbradt verteidigte Stange, der SPD stehe der Posten zu - manchem kam das wie Verrat vor.

Hinzu kommt, dass Milbradts Wirtschaftsbilanz an Glanz verliert. Nach Auslaufen der Sondereffekte, die die Jahrhundertflut 2002 beschert hatte, stagniert die Wirtschaft, sie wuchs im vergangenen Jahr um 0,1 Prozent. Im aktuellen Bundesländerranking der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ist der Freistaat auf Platz sechs abgerutscht. Im Vorjahr war man gesamtdeutscher Primus, nun stehen Ost-Länder wie Thüringen und Sachsen-Anhalt besser da.

An Milbradts Gegenspieler de Maizière (der selbstverständlich bestreitet, ein solcher zu sein) sind seine häufigen Heimspiele auffällig. Obwohl sein Schreibtisch im Kanzleramt steht, ist er nicht nach Berlin umgezogen. "Als einer, der in Sachsen wohnt", sagt er oft und betreibt in Dresden akribisch Kontaktpflege. Etwa wenn er, wie Mitte Juli, die Fraktion besucht. Ein SPD-Politiker meint: "De Maizière läuft sich für die Landtagswahl warm." Schon vor dem Wechsel in die Berliner Politik habe er an der Basis um Sympathien gebuhlt und jede Einladung - Kategorie Junge Union Plauen, Wirtschaftsrat Bautzen - angenommen.

Vor diesem Hintergrund ist ein Interview brisant, das CDU-Fraktionschef Fritz Hähle der "Sächsischen Zeitung" gab. Auf die Frage, ob er nicht die emotionale Seite bei Milbradt vermisse, sagte er: "Ja gut, das kann man nicht leugnen." Zudem philosophierte er über "persönliche Ausstrahlung" als zweite Seite der Medaille und dass man einen Menschen nicht umkrempeln könne. Wechselt da einer beizeiten das Lager? Sachsens CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer, um Schadensbegrenzung bemüht: "Unser Ministerpräsident ist eben nicht der Typ, der wie Klaus Wowereit auf Partys geht, sondern ein kerniger Arbeiter." Milbradt lässt zu Hähle ausrichten: "Dazu äußern wir uns nicht." De Maizière wiederum sagt zu den ihm nachgesagten Ambitionen: "Das ist Quatsch." Was sollte er auch sonst sagen?
Uwe Müller