Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 08.09.2006

Warnschuss aus der eigenen Partei

Union. Die CDU versucht, die Wogen zu glätten und spielt die überraschende Kritik aus den eigenen Reihen an Regierungschef Georg Milbradt herunter.
 
Getroffen haben wird es Georg Milbradt schon. Aber anmerken – dafür ist der Regierungschef bekannt – lässt er es sich nicht. Und so wickelte der Ministerpräsident auch gestern, als wenn nichts wäre, sein Tagesprogramm ab, während Unionspolitiker quer durch Sachsen grübelten, warum gerade jetzt der eigene Spitzenmann erneut öffentlich in Kritik geraten ist. Eine stärkere „emotionale Seite“ erwarte er von Milbradt, mehr „persönliche Ausstrahlung“, hatte ausgerechnet der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Fritz Hähle, gestern im SZ-Interview gesagt und damit Milbradt einen empfindlichen Dämpfer versetzt. Diese Kritik ist zwar nicht neu, eher gängig im Unionslager. Aber dass sie jemand so offen ausspricht, das war alarmierend ungewöhnlich.

„Wenn er es will, dann wird er es wohl sein“, hatte Hähle, der seit zwölf Jahren getreulich die Fraktion führt, gegenüber der SZ auf die Frage geantwortet, ob Milbradt 2009 erneut als Spitzenkandidat antreten werde. Und das klingt eben nicht gerade, als wäre Hähle begeistert von dieser Idee. Hinzu kommt, dass Hähles gleichzeitiges Lob für Milbradts Finanzpolitik manchen in der Union frappierend an einen anderen Milbradt-Kritiker erinnert. Milbradt sei ein „hervorragender Fachmann, aber ein miserabler Politiker“, hatte Amtsvorgänger Kurt Biedenkopf 2001 über seinen damaligen Finanzminister gesagt, ihn in die Wüste geschickt und klar gemacht, dass nur er, der „König“, über die Nachfolge zu entscheiden habe. Zu diesem Zeitpunkt und ausgerechnet von Hähle, dem braven, loyalen Parteisoldaten, hätte solche Äußerungen niemand erwartet. Und dass – gerade Hähle – sie ohne Hintersinn und Zweck machen sollte, ist schwer vorstellbar. Als einen deutlichen Warnschuss für den Regierungschef interpretieren viele Parteimitglieder daher Hähles Worte. Und sie lesen darin eine klare Botschaft an den Regierungschef: „Ändere Dich, Georg Milbradt, sonst wird’s bald eng.“

Attacke zur Unzeit

Jeder habe die Möglichkeit, sich frei zu äußern, sagte ein hörbar verärgerter CDU-Generalsekretär zu der Überraschungsattacke aus den eigenen Reihen. Michael Kretschmer versuchte gestern, die Aufmerksamkeit auf die guten Umfragewerte für Milbradt zu lenken: „Unser Ministerpräsident ist eben kein Schauspieler, und genau das honorieren die Sachsen bei ihm. Er ist, wie er ist, und damit ist er sehr erfolgreich.“ Mühsam hatte Kretschmer in den vergangenen zwei Jahren versucht, die Partei hinter Milbradt zu sammeln und die permanente Nachfolge-Debatte zumindest auf kleiner Flamme zu halten. Selbst prominente Dauer-Kritiker schweigen jetzt. Ohnehin ist klar: Es ist nicht der richtige Zeitpunkt für Kritik an Milbradt, drei Jahre vor der nächsten Landtagswahl und knapp vier Wochen vor dem Landesparteitag in Pirna. Milbradt muss sich zwar erst Ende 2007 erneut zur Wahl als Parteichef stellen. Doch auch in Pirna wollte die CDU sich eigentlich mehr der Sacharbeit als der Person Milbradt widmen.

Mühe um Schadenbegrenzung

Selbst Ex-Kultusminister Matthias Rößler wurde gestern nachdenklich. „Ich bin schon sehr überrascht, dass Hähle jetzt so etwas sagt“, sagte er. „Es sind doch gerade Milbradts Stärken, die jetzt vor dem anstehenden Doppelhaushalt gebraucht werden“, verteidigte er in ungewohnter Rolle den Regierungschef. Auch CDU-Landesvize Steffen Flath bemühte sich um Schadenbegrenzung. „Jeder Mensch hat seine Stärken und seine Schwächen“, sagte der Kultusminister. „Und ich konzentriere mich eben auf die Stärken.“ Aus den Äußerungen Hähles sei nicht unbedingt Kritik herauszulesen, erklärte Flath vorsichtig und weiß genau, dass jedes seiner Worte – die Worte eines Dauer-Kronprinzen –, parteiintern und in der Öffentlichkeit auf die Goldwaage gelegt wird. Kein Hauch von Illoyalität. „Bei einem Ministerpräsidenten zählen die Erfolge. Und Milbradt ist erfolgreich, und deshalb unterstütze ich ihn“, erklärte Flath fast trotzig.
Annette Binninger