Karl Nolle, MdL

SPIEGEL ONLINE, 15.09.2006

Leichsenring-Beerdigung:

Nazi-Kitsch, Tränen und ein paar Legenden
 
Die Beisetzung des verunglückten Politikers Uwe Leichsenring geriet heute zum NPD-Schauspiel - mit Fahnenträgern, Fackelzug und nationaldeutschem Liedgut. Am Rande schürten die Rechtsradikalen absurde Verschwörungstheorien über die Unfallursache.

Sanft schmiegt sich der Friedhof der katholischen Pfarrkirche in Königstein an den Hang. Die Sonne scheint auf gepflegte Gräber, der Blick der Gäste schweift über schmuck renovierte Häuser des Touristenortes in der sächsischen Schweiz. Es könnte die perfekte Kulisse für einen Heimatfilm sein - wären da nicht die vielen jungen Männer mit breiten Schultern und kahl geschorenen Köpfen.

Hier wird heute Uwe Leichsenring beigesetzt. Der parlamentarische Geschäftsführer der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag war am 30. August bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Der 39-Jährige prallte bei einem Überholmanöver auf der Bundesstraße zwischen seiner Heimatgemeinde Königstein und Pirna frontal mit einem entgegenkommenden Lastwagen zusammen.

Leichsenring, der seine Verlobte und eine Tochter hinterlässt, starb noch an der Unfallstelle. Der schwer verletzte Fahrer des Lastwagens wurde mit einem Rettungshubschrauber in ein Krankenhaus transportiert.

Leichsenring war einer der wichtigsten rechtsextremen Köpfe in Ostdeutschland. Er war seit der Wende maßgeblich am Aufbau des sächsischen NPD-Landesverbandes beteiligt. Bei der Kommunalwahl 2004 holte die NPD in seiner Heimatstadt Königstein 21,2 Prozent der Stimmen, bei der Landtagswahl im gleichen Jahr erreichte sie 9,2 Prozent.

Die Kapelle der Pfarrkirche mit ihren acht Sitzreihen ist deutlich zu klein für die monumentale und vor nationaler Symbolik strotzende Trauerfeier, die für Leichsenring ausgerichtet wird - trotz einiger zusätzlicher Stühle. Die meisten Besucher haben keinen Sitzplatz bekommen. Auf dem Friedhof vor der Kapelle haben sich rund 300 überwiegend männliche Trauergäste eingefunden, die der Zeremonie über eigens aufgebaute Lautsprecher lauschen.

An den Zugängen der Anlage stehen düster blickende Männer mit Sonnenbrillen und verschränkten Armen, auf denen hier und da Tätowierungen prangen.

Zuletzt wünschte er sich noch Sonderzüge für seine Gegner

Aus den Lautsprechern dröhnt die Stimme eines Parteifreundes, der den Verstorbenen mit markanten Worten preist. Er lobt seine "charakterliche Integrität, Sauberkeit und deutsche Gesittung." Der gelernte Fahrlehrer Leichsenring sei sehr fleißig gewesen und unheimlich stolz, seiner Verlobten und der gemeinsamen Tochter im Jahr 2002 "erstmals deutsche Weihnacht im eigenen Heim" bieten zu können.

Einige Details aus Leichsenrings Leben, die ebenfalls Aufschluss über seine "deutsche Gesittung" geben könnten, bleiben in der Trauerrede unerwähnt. Im Mai hatte Leichsenring, der exzellente Kontakte zu der Schlägertruppe "Skinheads Sächsische Schweiz" unterhalten haben soll, einen Eklat im sächsischen Landtag verursacht. Er hatte gefordert, gewalttätige linke Demonstranten mit Sonderzügen zur Bundesanwaltschaft zu verfrachten. Ein Abgeordneter der Linkspartei rief daraufhin, dass sich die NPD mit Sonderzügen ja gut auskenne. Leichsenring erwiderte: "Ja, manchmal wünscht man sie sich wieder, wenn ich manchen so sehe." Nach der Äußerung wurde Leichsenring für drei Sitzungen ausgeschlossen.

Die Trauerredner beschränken sich nicht darauf, in wärmsten Farben das Bild einer Provinz-Idylle rund um Leichsenring zu zeichnen. Sie bereiten auch mit einer kruden Verschwörungstheorie den Boden dafür, das Unfallopfer zum Märtyrer der braunen Sache zu stilisieren: Könnte Leichsenring das Opfer eines Mordanschlags sein?

Der Fahrlehrer, der Unfall und die Legenden

Die Partei sei erschrocken, dass der Generalstaatsanwalt des Freistaats Sachsen bei der Ermittlung der Unfallursache untätig geblieben sei, ist da zu hören. Schließlich habe Leichsenring in den vergangenen Jahren mehrfach Strafanzeige wegen angeblicher Manipulationen an seinem Fahrzeug gestellt. Die Kameraden hätten "erhebliche Zweifel" an der Sorgfalt der Untersuchungen. Leichsenrings Lebensgefährtin Carmen Steglich, ebenfalls NPD-Mitglied, habe gar "Strafanzeige wegen Mordverdachts" gestellt.

Dass die Staatsanwaltschaft Dresden nicht den geringsten Hinweis auf Manipulationen an Leichsenrings Mercedes hat und nach ihren Ermittlungen von einem normalen Verkehrsunfall ausgeht, bleibt unerwähnt.

Zum Abschluss der Trauerfeier erklingt die Nationalhymne auf dem Friedhof. Gleichzeitig entzünden mehrere Jugendliche Fackeln, zwei Fahnenträger nehmen Aufstellung. Die Leichenprozession folgt dem Urnenträger zum Grab. Dort ertönen Trompetenklänge und das deutsche Volkslied "Wenn alle untreu werden", das schon unter den Nationalsozialisten Bestandteil des Musikunterrichts gewesen ist.

Als die dunkelblaue Urne in die "deutsche Heimaterde" hinab gelassen wird, zücken viele Besucher Kameras, um eine Erinnerung von der Beisetzung des Kameraden mit nach Hause zu nehmen. Die mit Symbolik aufgeladene Zeremonie könnte dazu beitragen, Leichsenrings Grab zu einer neuen Pilgerstätte für Rechtsextremisten werden zu lassen.

Später, am Fuße des Hangs, einige Schritte von der Kapelle entfernt, fallen sich zwei junge Männer mit kahl geschorenen Köpfen in die Arme. "Wir machen weiter, oder?", flüstert einer von ihnen unter Tränen. "Klar", antwortet der andere.
Aus Königstein berichtet Jens Todt