Karl Nolle, MdL

DIE WELT, 17.09.2006

Wahl in Mecklenburg-Vorpommern: Die Rattenfänger von Schwerin

Bei den Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern werben Rechtsextreme um die Unzufriedenen.
 
Neonazis regieren den Landesverband der NPD. Soziales interessiert sie nicht. Der Bundesführung droht eine Spaltung.

Besonnen sieht er aus, ja sogar verschlafen. Michael Andrejewski steht ein wenig verloren auf dem Anklamer Marktplatz, in einem übergroßen Parka und verwaschenen Turnschuhen. Man könnte ihn übersehen. Doch wer ihn hört, horcht auf. "Ich bin ein Berufsrevolutionär von rechts", sagt er.

Um Andrejewski herum gesellt sich ein Geleittrupp drahtiger Jugendlicher. Kurz geschorene Haare, rote Hosenträger an blauen Jeans. Misstrauische Blicke. "Meine Jungs", sagt Andrejewski, 47, lächelnd. "Wir wollen endlich für Ordnung sorgen."

Der arbeitslose Jurist aus Hamburg und NPD-Landtagskandidat sorgt erst einmal für Unruhe im Land. Wenn heute Abend in Mecklenburg-Vorpommern die Ergebnisse der Landtagswahl verkündet werden, dürfte die halbe Republik entsetzt zuschauen. Die NPD steht vor dem Einzug ins Landesparlament. Umfragen sehen die Rechtsextremen zwischen sechs und sieben Prozent. Andrejewski und seine Jungs geben sich bieder. Dabei wollen sie nichts anderes als eine braune Diktatur - und sind damit radikaler als die Bundes-NPD.

"Weg mit Hartz IV" ist auf den Plakaten am Anklamer Infostand zu lesen oder "Ländliche Schulen erhalten". Das verdeckt den Blick auf das Parteiprogramm, das Andrejewski hier nicht verteilt. "Deutschland ist größer als die Bundesrepublik", heißt es da. Die NPD träumt vom arischen großdeutschen Reich. Doch das taugt nicht für den Wahlkampf. Lieber spricht Andrejewski von "armen Bürgern, die die Politik verarscht".

"Die Menschen sind so hoffnungslos, dass sie sich Rattenfängern anvertrauen", sagt Uwe Schultz, SPD-Landtagskandidat in Anklam. 160 000 Arbeitslose gibt es im Land. "Jetzt erwarten viele nach DDR-Manier, dass der Staat hilft." Dass sie das tun würde, das suggeriert ihnen die NPD. "Die NPD bedient diejenigen, die sich ungerecht behandelt fühlen", sagt Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa. "Dabei hat sich die Partei noch nie für das Gestalten interessiert, sondern nur für Protest", sagt Klaus-Peter Schöppner, Geschäftsführer von Emnid.

Die NPD investiert kräftig in Mecklenburg-Vorpommern. Mindestens 400 000 Euro steckte sie in den Wahlkampf. Mehr Plakate als die NPD hängten auch SPD, CDU oder Linkspartei nicht auf. Und der Parteiapparat schickte 30 Aktivisten aus Sachsen in den Norden. In Sachsen war es der NPD 2004 erstmals seit 1968 in Baden-Württemberg gelungen, wieder in ein Landesparlament einzuziehen. Der Fraktionsstatus im Landtag in Dresden bringt Geld und Personal. Beides setzt die Partei nun in Mecklenburg-Vorpommern ein.

In Sachsen selbst kämpft die Fraktion der NPD längst gegen den Zerfall. Zwar beweisen die Rechtsextremen im Landtag Disziplin. Zerstreiten wird sich die Fraktion wohl kaum. Doch durch Sacharbeit fällt die Partei nicht auf.

Gerade bei sozialpolitischen Themen sind die NPD-Abgeordneten auf Tauchstation gegangen. "Wir mussten uns erst in anderen Politikfeldern kompetent machen", rechtfertigt sich Karl Richter. Der Leiter des Wissenschaftlichen Dienstes der sächsischen NPD-Fraktion spricht lieber über Rassentheorie. "Der mitteleuropäischen Gruppe sollte es vorbehalten bleiben, den Boden zu kultivieren", sagt er. Und er wäre froh, fügt er hinzu, wenn die Leute hier in 300 Jahren noch so aussehen wie jetzt.

In der politischen Alltagsarbeit dagegen gehen Richters Expertisen zur "genetischen Festgelegtheit" des Menschen und dem "Recht auf Verschiedenheit" unter. Dabei hatte die NPD nach ihrem Wahlerfolg in Sachsen die besten Leute der rechtsextremen Szene Deutschlands nach Dresden gelockt. "Eine zweite Fraktion könnten wir so nicht bestücken", gibt Richter zu.

Schlechte Aussichten also für die Nationaldemokraten im Nordosten. Noch schlimmer aber wiegt für sie, dass sie im Gegensatz zur sächsischen NPD kaum in der Gesellschaft verwurzelt sind. "Die NPD ist nicht kommunal verankert", sagt Hubertus Buchstein von der Uni Greifswald. "Sie ist virtuell." Das ficht Andrejewski nicht an. "Wir müssen eigentlich nur warten", vertraute er einmal einem Forscherteam der Greifswalder Uni an. Früher oder später würde die Partei den "politischen Raum" dominieren, dann, wenn die Gebildeten und die Ehrgeizigen aus dem armen Bundesland weggezogen seien.

Doch ein Wahlerfolg könnte sich auch als Bumerang für die Partei erweisen. Die NPD im Nordosten ist einer der radikalsten Landesverbände der Gesamtpartei, seit 2004 über hundert Neonazis aus freien Kameradschaften in sie eingetreten sind. Sie haben den Verband übernommen. Altgediente Kader kandidieren bei den Landeswahlen heute nur auf hinteren Listenplätzen.

Sollte der Einfluss der Neonazis steigen, stünde die NPD vor einer Zerreißprobe. Die Kameradschaften beobachten skeptisch die Parteiführung im Bund. Zu angepasst sei die, heißt es. Besonders die Wahlallianz mit der weniger radikalen Deutschen Volks-Union (DVU) stößt auf Widerstand. "Was wir von der DVU brauchen, ist nur das Geld von Dr. Frey", stichelt Stefan Rochow aus Greifswald, Chef der neonazistischen NPD-Jugendorganisation über den DVU-Chef und Millionär Gerhard Frey.

Erste Anzeichen für einen stürmischen Herbst gibt es auch im Internet. Geschlossenheit gebe es im Schweriner Landesverband keine, schreibt ein verzweifelter Blogger im braunen "Störtebeker-Netz": "Es herrschen kaum verhüllte Missgunst und Antipathie der verschiedenen Interessenclans."
Von Jan Rübel