Karl Nolle, MdL

DIE WELT, 16.09.2006

Wahl in Mecklenburg-Vorpommern: NPD mit West-Importen auf dem Vormarsch

 
Letzte Umfragen sehen die Rechtsextremen mit sieben und mehr Prozent im Schweriner Landtag. Forsa erwartet sogar ein zweistelliges Ergebnis. Gleichzeitig wird befürchtet, dass lediglich vier von zehn Wahlberechtigten zur Urne gehen.

Schwerin - Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Bürger von Mecklenburg-Vorpommern aufgerufen, zur Wahl zu gehen. "Eine große und hohe Wahlbeteiligung schützt auch vor extremen Parteien", sagte sie. Der Appell dürfte wenig bewirken: Letzte Umfragen sehen die NPD mit sieben und mehr Prozent im Schweriner Landtag. Sogar ein zweistelliges Ergebnis erwartet Forsa-Chef Manfred Güllner. Gleichzeitig wird befürchtet, dass lediglich vier von zehn Wahlberechtigten zur Urne gehen - es wäre das Rekordtief bei allen Landtagswahlen nach dem zweiten Weltkrieg.

Viel spricht also dafür, dass es am Sonntag nach 18 Uhr wieder lange Gesichter und betroffene Kommentare geben wird. So wie schon am 19. September 2004, als die NPD in Sachsen 9,2 Prozent der Stimmen erzielte, fast ebenso viel wie die SPD. Damit kehrten die nationalen "Demokraten" erstmals seit 36 Jahren - sie hatten zuletzt 1968 in Baden-Württemberg die Fünf-Prozent-Grenze überwunden - in ein Landesparlament zurück.

Wegen des vermutlich neuerlich guten Abschneidens werden wohl zahlreiche ausländische Journalisten, die ansonsten den Wahlgang in dem Land mit 1,7 Millionen Einwohner ignoriert hätten, nach Schwerin reisen.

Nach Sachsen nun Mecklenburg-Vorpommern? Der sich dort anbahnende Triumph jedenfalls wäre ohne sächsische Aufbauhilfe kaum denkbar. Schon vor Wochen hat Sachsens NPD-Fraktionschef Holger Apfel, die Vielzweckwaffe seiner Partei, in Anklam Aurtier bezogen. Dort, in Vorpommern, kann die NPD mit besonders hoher Zustimmung rechnen. Apfel zieht in der professionell geführten Wahlkampagne die Strippen, der Bundesvorsitzende Udo Voigt bleibtunauffällig im Hintergrund.

In Meck-Pom, wie das Bindestrichland abgekürzt heißt, hat die NPD ebenso viele Plakate aufgehängt wie SPD oder CDU. Sie verfügt auch nicht über weniger Geld als die etablierten Parteien, Schätzungen zufolge konnten mindestens 400 000 Euro eingesetzt werden. Der Extremismusforschers Markus Birzer, der der Schweriner Akademie für Politik, Wirtschaft und Kultur vorsteht, vermutet sogar, dass die NPD doppelt so viel Geld zur Verfügung hat. Doch das sei nicht entscheidend.

"Der Aufwärtstrend der NPD ist das Ergebnis der Ideenlosigkeit der etablierten Parteien", sagt Birzer. Die traditionellen Kräfte hätten breiten Schichten keine glaubhafte Perspektive für die Zukunft des Landes vermitteln können. Wenn die SPD dann auch noch Slogans wie "Den Erfolg fortführen" plakatiere, so der Politologe, müsse das die Wähler irritieren - "mich übrigens auch". Hinzu kämen offenkundige Defizite der politischen Akteure. Zu wenige von ihnen seien in der Lage, "eine Idee davon zu vermitteln, wie eine Bürgergesellschaft mit Leben gefüllt werden kann".

Besonders trostlos ist die wirtschaftliche Lage in Mecklenburg-Vorpommern. Für August weist die Statistik 160 000 Arbeitslose aus, die Quote von 18,9 Prozent ist höher als in jedem anderen Bundesland. Doch es sind nicht nur allein solche Zahlen, die die "Modernen Nazis" (so der Titel eines aktuellen Buchs des Journalisten Toralf Staudt) begünstigen. In dem Ostseeland vollzieht sich unaufhaltsam eine demografische Katastrophe, die den ökonomischen Strukturwandel begleitet und ihn zusätzlich verschärft.

Die Bevölkerungszahl wird in einzelnen Regionen in den nächsten 14 Jahren um ein Drittel zurückgehen, wozu auch die Abwanderung beiträgt. Jung, gebildet und überwiegend weiblich sind die Immigranten, weshalb auf 100 Männer zwischen 20 und 30 Jahren nur noch 84 gleichaltrige Frauen kommen - solche Verwerfungen gibt es nirgendwo sonst in Europa.

Geschickt beutet die NPD das aus. "Versagerparteien haben unser Land ruiniert", sagt Spitzenkandidat Udo Pastörs in einem Wahlwerbefilm, in dem eine Familie gerade den Koffer packt - und sich im letzten Moment zum Bleiben entschließt, dank NPD. Unterlegt ist das mit Liedzeilen wie: "Man nimmt uns unsere Zukunft, unsere Arbeit, unser Geld."

Wie Apfel stammt auch Pastörs aus dem Westen. Er, Jahrgang 1952, verheiratet, Vater einer Tochter, und Juwelier und Uhrmachermeister, steht für das bürgerliche Antlitz der NPD. Ihr trat er 2000 bei und wurde 2005 Chef des Landesverbandes. Der Politiker gilt als linientreuer Diener seiner Partei. Beobachter sagen, bei Pastörs würden sich nicht gerade Kommunikationstalent und Intelligenz paaren, wenn er frei rede, erzähle er rasch abstruses Zeug.

Für das andere Gesicht der NPD steht Thomas Wulff, 43 Jahre alt, ebenfalls verheiratet, ebenfalls Vater, ebenfalls West-Import. Für ihn ist die NPD der "parlamentarische Arm der Bewegung", sich selbst sieht er als "Freien Nationalisten" - was andere mit "Exponent der Schlägertrupps" übersetzen. Acht "Kameradschaften" hat der Landesverfassungsschutz registriert.

Sollte die NPD am Sonntag sehr stark abschneiden, gibt es womöglich künftig nur eine Option für die Landesregierung: eine Notkoalition aus CDU und SPD, die dann wohl die politischen Ränder weiter stärken würde. "Das wäre eine Katastrophe", meint Akademiedirektor Birzer. Und fügt hinzu, dass auch alle anderen denkbaren Alternativen kaum besser wären.
Von Uwe Müller