Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 15.12.2006
„Von einem toten Pferd soll man absteigen“
Interview mit Henry Nitzsche CDU - MdB
Ihre Worte vom deutschen „Schuldkult“ und den „Multikulti-Schwuchteln“ haben eine Welle der Empörung ausgelöst. Werden Sie sich entschuldigen?
Ich habe niemanden beleidigt, also kann ich mich auch bei niemandem entschuldigen. Ich habe nur einen Trend beschrieben. Ich fühle mich dabei vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Ich bin 1989 gerade für die Freiheit des Wortes auf die Straße gegangen. Im Gegensatz übrigens zu anderen Leuten in der CDU wie Sachsens Generalsekretär Michael Kretschmer oder führenden Repräsentanten unseres Freistaates wie Ministerpräsident Georg Milbradt.
Was stört Sie an deren Kritik?
Alle beklagen ein Abdriften der Wähler zu den Randparteien, die sich in der bürgerlichen Mitte nicht mehr vertreten fühlen. Das ist aber nicht verwunderlich, weil wir als gewählte Repräsentanten der Demokratie Dinge meist nicht mehr deutlich beim Namen nennen. Statt politischer Botschaften werden immer wieder Formulierungen zum Gegenstand von Diskussionen gemacht. Man mag mir zu Recht vorwerfen, dass ich bei der Vermittlung meiner Botschaften zu überzogenen und provokanten Formulierungen neige. Ich weiß, das ist eine Gratwanderung. Aber in unserer reizüberfluteten Welt werden Politiker mit sanften Tönen nicht mehr wahrgenommen. In hölderlinscher Lyrik erreichen wir die Bürger einfach nicht.
Was ist falsch daran, wenn das Parteifreunde anders sehen?
Die Doppelmoral. Meine umstrittenen Äußerungen sind schon Anfang Juni gefallen. Und als ich im Juli Herrn Kretschmer anrief, um ihn um seine Meinung zu fragen, erklärte er wörtlich: Ach, das geht gerade noch so. Der gleiche Mann hat auch noch nach parteiinternen Krisensitzungen im November erklärt, das war populistisch, was Du gesagt hast, aber ansonsten ging es. Nur drei Tage später beschimpft er mich dann aber öffentlich als eine rechtsradikale Belastung. Ein Chamäleon ist eine graue Maus gegen ihn. Dazu gibt plötzlich auch Milbradt als CDU-Landeschef Interviews und erregt sich über meine Bezeichnung „Multikulti-Schwuchtel“ für den politischen Gegner und erklärt öffentlich, Nitzsche ist nur von unten fertigzumachen. Das ist für mich nicht nur eine Instinktlosigkeit. Milbradt ist damit auch ein Mensch, mit dem ich politisch nicht mehr zusammenarbeiten will – gerade als CDU-Landeschef.
Sie denken an Parteiaustritt?
Ich habe bereits gehandelt. Seit gestern ist Herr Milbradt nicht mehr mein Landesvorsitzender. Schon die Dakotas sagen, wenn Du merkst, Du reitest ein totes Pferd, dann steige ab.
Sind Sie gedrängt worden?
Nein, das war meine Entscheidung.
Warum redet man Ihrer Meinung nach CDU-intern anders als in der Öffentlichkeit?
Ich habe eine Vermutung. Nach außen will man sich politisch korrekt verhalten und intern versucht man, die Leute bei der Stange zu halten. Hier benennt man die Wahrheit, dort traut man sich nicht.
Einige in Ihrer Ex-Partei nennen Sie einen Wiederholungstäter?
Darüber bin ich besonders betroffen. Ein Wiederholungstäter kann nur ein Kinderschänder oder ein Mörder sein. Und das bin ich nicht. Ich würde aber erneut den Trend benennen, dass Multikulti-Schwuchteln unser Vaterland heruntergewirtschaftet haben.
Bleiben Sie Berufspolitiker?
Auf jeden Fall bleibe ich aktiv und werde mein Bundestagsmandat, das ich ohne Absicherung über die Landesliste als Direktkandidat erkämpft habe, bis 2009 behalten. Und ich sehe für mich auch danach eine politische Zukunft.
Das Gespräch führte Gunnar Saft