Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 18.01.2007

SPD-Fraktionschef vor Balanceakt

73-jähriger Cornelius Weiss hängt an seinem Amt - Jüngere Landtags-Genossen stehen in den Startfächern
 
Dresden. Der Wirtschaftsminister und SPD-Landeschef weilt derzeit in Indien. Mit seinen Gedanken wird Thomas Jurk morgen allerdings in Dresden sein. Denn vom Ergebnis der Wahl des Fraktionsvorsitzenden im_ Landtag hängt auch die Zusammenarbeit in der Regierungskoalition mit der übermächtigen CDU ab. Für eine Fortsetzung des partnerschaftlichen Kurses tritt Amtsinhaber Cornelius Weiss (73) ein. An dessen scheinbar sicherer Wiederwahl sind plötzlich massive Zweifel aufgetreten.

Der Wortführer seiner Kritiker gilt gewöhnlich als zurückhaltend
und abwägend. Um so stärker trifft es Weiss, dass ihn ausgerechnet sein Fraktionskollege Johannes Gerlach (53) zum Verzicht auf die Kandidatur aufforderte. Öffentliche Hinweise auf das Alter von Weiss vermeidet Gerlach ebenso wie ein direktes Duell. Er geht subtiler vor. „Ich hatte erwartet, dass Cornelius Weiss lediglich für zwei Jahre im Amt bleiben wollte", sagt er.
Eigene Ambitionen leugnet der Zschopauer nicht. Er fühlt sich ermutigt durch Wechselbefürworter wie den Leipziger Gunter Hatzsch und durch vier Stimmen, die er vor zwei Jahren erhalten hatte, nur eine weniger als Weiss. Öffentlich noch zurückhaltender ist Stefan Brangs (42). Dem Verdi-Gewerkschafter trauen viele in der SPD zu, als lachender Dritter aus dem Rennen zu gehen. Voraussetzung auch für ihn wäre ein Verzicht von Weiss.

Forderungen nach einer Verjüngung könne er verstehen, ebenso wolle er überhaupt nicht im Wege stehen, sollte eine Mehrheit Bedenken gegen seine Wiederwahl äußern: Mit der Würde eines Wissenschaftlers, der sich am Ende seines politischen Lebens nicht auf eine Kampfabstimmung einlassen möchte, beschreibt Weiss seine Gelassenheit. Doch Ehrgeiz und das Gefühl, eine wichtige Mission zu erfüllen, sind ihm nicht fremd. „Neun von 13 Fraktionsmitgliedern haben mir ins Gesicht ihre Zusage gegeben", berichtet er. Wichtig sei zudem Kontinuität. „Nichts wäre schlimmer als das Bild der Zerrissenheit", ergänzt Weiss.

Doch dieser Eindruck ist längst entstanden. Die SPD-Abgeordneten stehen wie selbstständige Einheiten und nicht wie eine Gemeinschaft da", beklagt Alt-Rebell Karl Nolle einen „Prozess der Stoiberisierung", der nur durch eine offene Kommunikation gestoppt werden könne.

Auf eine Stimme muss Weiss morgen in jedem Fall verzichten: Thomas Jurk wird ihm aus Indien die Daumen drücken, damit der schwierige Koalitionsbalanceakt weitere zwei Jahre abgesichert wird.
Von Hubert Kemper