Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 14.05.2007

Sachsen droht eine Korruptionsaffäre

Geheime Akten des Verfassungsschutzes sollen Landespolitiker und Juristen belasten. Es geht um illegale Geschäfte und Amtsmissbrauch.
 
Noch nie seit Bestehen musste sich die PKK, das Kontrollgremium des Landtages für die Geheimdienste, so lange mit einem Problem herumschlagen. Schon sechs Monate brütet das fünfköpfige Gremium über fast 100 Aktenordnern mit etwa 16000 Blatt Papier – den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes zur organisierten Kriminalität in Sachsen.

Experte: Bestürzender Inhalt

Es gehe um „mittlere bis schwerste organisierte Kriminalität“, sagt ein Sechster, der die Akten kennt: Sachsens Datenschützer Andreas Schurig. Doch er will sie vernichten, weil die Informationen seiner Ansicht nach illegal gesammelt wurden. Er mahnte den Geheimdienst deshalb formell ab und brachte damit Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo in Bedrängnis. Der machte die PKK de facto zum Schiedsrichter.

Brisanter als das Zustandekommen der Akten scheint ihr Inhalt, über den gut proportioniert mehr und mehr bekannt wird. So spricht der Korruptionsexperte Jürgen Roth von einem „bestürzenden“ Inhalt. Er habe im sächsischen Innenministerium Teile der Akten einsehen können. Roth spricht im MDR-Sachsenspiegel davon, dass „regierende Landespolitiker, hohe Staatsanwälte und Größen aus dem Rotlicht“ ein Beziehungsgeflecht eingegangen seien. Auch der „Spiegel“ berichtet in seiner jüngsten Ausgabe von Hinweisen auf Korruption, Amtsmissbrauch, Verrat von Dienstgeheimnissen und Immobilienschiebereien. SZ-Informationen zufolge, sollen auch Kinderprostitution und Erpressung im Spiel sein. Treffen die gesammelten Hinweise des Geheimdienstes zu, so informierte Kreise in Behörden und Parlament, könnten sie eine Staatskrise auslösen.

Ein Schwerpunkt der Beobachtung war Leipzig, wo ungeklärte Vermissten- und Todesfälle angeblich gute Anknüpfungspunkte für neue polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen bieten sollen. So verschwand im Juli 1996 die Justizsekretärin Barbara Beer spurlos. Erst vier Jahre später entdeckten Arbeiter in der Elsteraue bei Raßnitz Schädel und Skelettteile der Frau. Die 49-Jährige war im Amtsgericht tätig. In einem vertraulichen Bericht des Landeskriminalamtes sollen sich Hinweise befinden, dass sie illegalen Immobilienschiebereien auf die Spur gekommen sein könnte. Ein halbes Jahr vor der Beamtin verschwand der 24-jährige Michael Mielke auf rätselhafte Weise. Von dem Immobilienmakler fehlt jede Spur.

Justiz will Material prüfen

Beide Fälle könnten dem LKA-Bericht zufolge auch mit einem Mordanschlag zu tun haben, der im Oktober 1994 in Leipzig auf Martin Klockzin verübt worden war. Der städtische Immobilienmanager entkam nur knapp dem Tode. Von den vier Kleinkriminellen, die als Täter ermittelt wurden, erhielten drei lebenslänglich und einer zwölf Jahre Haft. Die mutmaßlichen Drahtzieher der Tat kamen Jahre später mit Geldstrafen davon. Beobachter wundern sich noch heute, dass die Leipziger Justiz bei den Kleinkriminellen über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinausgingen, bei den Drahtziehern dafür erstaunliche Milde walten ließen. Gegen mindestens zwei Personen aus dem sogenannten Leipziger Sumpf hatte die OK-Abteilung des Verfassungsschutzes so viele Hinweise, dass eine Abgabe des Falls an die Staatsanwaltschaft vorgesehen war. Doch die kam nicht zustande. Seither schwelt angeblich auch behördenintern ein Gerangel um die Akten. Mit der Beanstandung des Datenschützers droht den brisanten Akten die Vernichtung.

Doch gestern setzte Sachsens Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm ein anderes Signal. „Alles auf den Tisch des Staatsanwalts!“, fordert er nun. Schwalm spreche sich „mit Nachdruck“ dafür aus, das geheime Material „über ein Geflecht organisierter Kriminalität“ der Staatsanwaltschaft zu übergeben, soweit dies rechtlich zulässig sei, heißt es in einer Mitteilung. Jeder Verdacht einer Straftat müsse auch in dieser Sache lückenlos aufgeklärt werden.

Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) will seine Entscheidung von der PKK abhängig machen. „Insofern werde ich dieses Votum abwarten.“ Vor seiner nächsten regulären Sitzung am 25. Mai will das Gremium bereits morgen zu einer Sondersitzung zusammenkommen, angeblich auf Wunsch von Innenminister Buttolo.

Der sächsische Datenschutzbeauftragte Andreas Schurig wies gestern den Vorwurf zurück, Korruptionsvorwürfe vertuschen zu wollen. Er habe die Affäre im vorigen Herbst mit seiner Rüge überhaupt erst an die Öffentlichkeit gebracht. Der Verfassungsschutz habe allerdings laut einem Urteil des Verfassungsgerichtshofs mit der Beobachtung von organisierter Kriminalität seine Kompetenzen überschritten. Was mit den Akten jetzt geschehe, entscheide er als Datenschützer nicht allein. „Der Ball liegt jetzt beim Innenministerium.“ Er werde in den nächsten Tagen auch die Behauptung des Frankfurter Journalisten Jürgen Roth im MDR-Fernsehen überprüfen, er habe im Innenministerium einen Teil der geheimen Akten einsehen können.

Zeugen sollen sich melden

Justizsprecher Martin Marx forderte gestern alle Zeugen auf, sich bei der Justiz zu melden, um dort auszusagen. Wer etwas über die behaupteten Korruptionsvorwürfe gegen Mitarbeiter von Kommunen, Polizei und Justiz wisse, solle sich umgehend an die Ermittlungsbehörden wenden. „Die Justiz hat bisher nicht eine Seite der Akten gesehen“, sagte Marx. Dem Generalstaatsanwalt müssten endlich die Verfassungsschutzakten übergeben werden, damit Ermittlungen aufgenommen werden könnten, forderte der Sprecher von Justizminister Geerd Mackenroth.

Die PDS-Abgeordnete Caren Lay, Mitglied in der PKK, forderte gestern eine Stärkung der Rechte der Parlamentarischen Kontrollkommission. Die Affäre beweise, dass dies dringend nötig sei. Die Abgeordneten, die den Verfassungsschutz kontrollieren sollen, müssten früher über solche gravierenden Vorwürfe informiert werden und in bestimmten Fällen das Recht erhalten, von sich aus Justiz und Öffentlichkeit einzuschalten.
Von Thomas Schade und Karin Schlottmann