Karl Nolle, MdL

Die Welt, 15.05.2007

Eine Affäre um Rotlicht und Blaulicht

 
Sachsens Verfassungsschutz hat ein Geflecht aus Korruption, Betrug und Prostitution ermittelt, in das Unternehmer, Politiker, Richter und Polizisten verwickelt sein sollen. Die Akten liegen jedoch im Panzerschrank. Der oberste Datenschützer des Landes will sie sogar schreddern.

Der sächsische Verfassungsschutz ist einem seltsamen Kartell nach Art der Organisierten Kriminalität auf die Spur gekommen. Die Vorwürfe, die den Freistaat seit Wochenbeginn erschüttern, drehen sich um Immobiliendeals und Kinderprostitution, Korruption und dubiose Todesfälle. Involviert in das kriminelle Geflecht sollen nicht nur Bauunternehmen und Immobilienhändler sein, sondern auch ranghohe Politiker, leitende Staatsanwälte, Polizisten und Richter. Doch Sachsens Datenschützer Andreas Schurig will die geheimen Akten schreddern lassen. Der Grund: Die Informationen seien vom Verfassungsschutz illegal gesammelt worden. Anfang Oktober 2006 gab der Datenschutzbeauftragte im Dresdner Landtag eine bemerkenswerte Pressekonferenz.

Sachsens Verfassungsschutz habe selbst mehrfach Verfassungsbruch begangen, bemängelte Schurig. Wegen der „fortgesetzten rechtswidrigen Beobachtung der Organisierten Kriminalität (OK)“ müsse er den Geheimdienst beanstanden. Das „schwerwiegende Fehlverhalten” des Nachrichtendienstes sei „bundesweit einmalig“. Der Aufschrei war groß – bis am vorigen Wochenende durchsickerte, welche Dimension die beanstandeten Fälle offenbar hatten. Die rund 15.500 Blatt streng geheimer Akten des Komplexes „Abseits“, die in einem abhörsicheren Raum des Verfassungsschutzes aufgereiht sind, berichten von mafiösen Strukturen bis in Führungsetagen von Politik, Justiz und Polizei hinein. Eine Melange, die die Landesregierung in arge Bedrängnis bringen kann.

Zwei Menschen verschwinden, zwei überleben knapp

Schwerpunkt der kriminellen Verstrickungen soll laut Berichten des „Spiegels“ und der „Leipziger Volkszeitung“ Leipzig sein, doch entsprechende Netzwerke treten offenbar auch in Chemnitz und dem Vogtland in Erscheinung. Die Rede ist vor allem von Immobilienschiebereien und vom Leipziger Kinderbordell „Jasmin“. Dort, wo Anfang der 90er Jahre Mädchen aus Tschechien zur Prostitution gezwungen wurden, sollen auch hohe Kreise verkehrt haben – und damit erpressbar sein. Rotlicht und Blaulicht geben in der Geschichte eine unheimliche Mischung ab, denn auch Vorwürfe von Amtsmissbrauch, Geheimnisverrat und Korruption sowie fragwürdige Gerichtsentscheidungen und sonderbar ausgebremste Ermittler gehören zur Geschichte. Selbst ungeklärte Todesfälle werden in das Puzzle einsortiert: Mal verschwand eine Justizsekretärin aus Leipzig, mal ein Immobilienmakler. Beide Leichen wurden erst Jahre später aufgefunden. Ein Manager der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft überlebte nur knapp drei Schüsse, die vor seiner Haustür aus nächster Nähe auf ihn abgegeben wurden. Eine Informantin überstand nur mit Not einen Drogencocktail, den man ihr verabreicht haben soll.

Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) könnte die Akten, die der Verfassungsschutz zusammengetragen hat, ungeachtet der Rüge vom Datenschutzbeauftragten an Polizei und Justiz übergeben. Schließlich ist er nach eigenem Bekunden an einer größtmöglichen Aufklärung der gewaltigen Vorwürfe interessiert. Doch angesichts der heiklen Vorgeschichte zögert der Minister: Er will das Votum der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) des Landtags abwarten, die an diesem Dienstag zur Sondersitzung zusammenkommt.
„Wir wollen ein sauberes Sachsen“

„Wenn die PKK meiner Rechtsauffassung folgt, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet war, kann ich die Daten weitergeben“, kündigte Buttolo im Gespräch mit WELT ONLINE an. „In diesem Punkt stützt mich auch der Justizminister.“ Auch Sachsens Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm forderte mit Nachdruck, das geheime Material zu übergeben: „Wir wollen ein sauberes Sachsen.“ Bisher durften jedoch nur die fünf PKK-Mitglieder die Akten unter strengster Aufsicht lesen.

Nach der brisanten Lektüre hofft der CDU-Vertreter in dem Gremium, Frank Kupfer, dass es zu Ermittlungen kommt. „Was vom Verfassungsschutz aufgedeckt wurde, kann man nicht einfach schreddern“, sagte Kupfer WELT ONLINE, ohne Details zu nennen. „Es muss eine rechtlich saubere Lösung geben, dass es zu Ermittlungen kommen kann.“ Schurig selbst verteidigt jedoch seine Haltung. „Gerade der Verfassungsschutz, der tief in verschiedene Bereiche eindringen kann, muss absolut sauber arbeiten“, sagte Schurig WELT ONLINE. „Da darf es keinen Makel geben.“ Für Fälle schwerer und schwerster Kriminalität seien nunmal Polizei und Justiz zuständig. Aufgabe des Verfassungsschutzes sei es nicht, gerichtsfest zu ermitteln, sondern Informationen zu sammeln. „Da reicht manchmal ein Gerücht oder eine Vermutung.“ Informanten könnten sich dennoch gegenüber den Ermittlungsbehörden eröffnen – notfalls sogar mit deren Schutz, meint Schurig. Insider halten diese Hoffnung allerdings für wenig aussichtsreich.
von Sven Heitkamp