Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 12.05.2007
Kriminelles Netzwerk bis in höchste Kreise
Heikle Ermittlungen sorgen derzeit in Sachsen für Wirbel. Von Rotlicht über dubiose Immobiliendeals bis hin zum Missbrauch von Kindern reichen die Stichworte, von Mafia-Strukturen bis hin zu Vertretern aus Polizei, Politik und Justiz die Reihen der Verdächtigen, über die Jürgen Kochinke berichtet.
Die Aktenreihe ist viele Meter lang, darin befinden sich 15 600 Blatt Papier. Was derzeit im Sitzungsraum beim sächsischen Verfassungsschutz Regale füllt, ist hochbrisant. Fein säuberlich sortiert lagern fast 100 Ordner mit Material zur so genannten Organisierten Kriminalität (OK) in Sachsen, von Rotlicht über dubiose Immobiliendeals bis hin zum Missbrauch von Kindern. Und das Schlimmste: In den Akten sollen sich dutzende bekannte Namen befinden, es geht um Staatsanwälte und Richter, aber auch um Politiker und Polizisten - ein Polit-Krimi allererster Güte.
Das interne Material scheint allemal geeignet zu sein, eine mittlere Staatskrise in Sachsen auszulösen. So haben die Ermittler gleich auf drei Regionen mit OK-Aktivität verwiesen. Der Schwerpunkt liegt laut Aktenlage aber eindeutig in Leipzig, wo die Beamten offenbar ein besonders reges Netzwerk ausgemacht haben. Doch auch in anderen Regionen zieht die OK Fäden. So geht es ebenso um Fälle im Vogtland, hier sollen Juristen und Polizisten mit der Rotlichtszeine verbandelt sein. Hinzu kommen Hinweise auf Netzwerke in Chemnitz.
Politisch aufgeladen wird die Affäre durch Andreas Schurig. Am 4. Oktober 2006 hatte Sachsens oberster Datenschützer davon gesprochen, es handele sich keineswegs um Kleindelikte, sondern um „mittlere bis schwerste Organisierte Kriminalität". Dennoch will er vier der insgesamt fünf Themenkomplexe in den Schredder schicken (siehe Hintergrund). Lediglich ein Bereich soll an die Staatsanwaltschaft übergeben werden. Nach Informationen dieser Zeitung handelt es sich dabei um das Beobachtungsfeld „Biker/Rocker", hier soll es Kontakte zur rechtsextremen Szene geben. Gerade jene anderen Bereiche aber, wo Verbindungen zu Sicherheitsbehörden und Politik vermutet werden, sollen vernichtet werden - so auch der Komplex „Abseits", der sich um die Bordell- und Pädophilenszene vor allem in Leipzig dreht.
Daneben aber geht es in den Akten auch um die Verbandelung von Justiz und Verwaltung - und um Immobiliendeals. So ist es kein Zufall, dass das Attentat auf den Manager der Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB), Martin Klockzin, viele Seiten in den Ordnern füllt. Der Immobilienmanager war 1994 mit drei Schüssen schwer verletzt worden. 1996 wurden drei Täter zu lebenslanger Haft verurteilt, der eigentliche Schütze erhielt zwölf Jahre. Gegen die potenziellen Hintermänner, zwei Immobilienmakler aus Süddeutschland, wurde ebenfalls ermittelt, 2003 endete das Verfahren aber mit einem seltsamen Kompromiss: Die Verdächtigen zahlten je 2500 Euro an den Weißen Ring, das Verfahren wurde eingestellt.
Dabei hatten die Ermittler bereits früh Hinweise auf Ungereimtheiten gerade in diesem Fall. So hatte das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen ein internes Dossier zum Thema erstellt. „VS - Nur für den Dienstgebrauch" steht über dem Bericht vom 29. Februar 2000, der dieser Zeitung vorliegt, darunter geht es um Klockzin. Und auch schon hier verweisen die LKA-Ermittlern auf „eventuell illegale Grundstücksspekulationen in der Stadt Leipzig". Dabei äußern sie in dem 23 Seiten starken Papier einen bösen Verdacht: Es gebe Hinweise auf Verwicklungen eines Teils der Leipziger Gesellschaft mit der Rotlichtszene -und die These, die Betroffenen könnten wegen ihrer Besuche in einem Kinderbordell erpressbar sein. Dabei handelt es sich um das „Jasmin" in der Merseburger Straße,das 1993 aufgeflogen war und in dem minderjährige Mädchen zur Prostitution gezwungen wurden.
Immer wieder liefern die LKA Hauptkommissare Fingerzeige für weitere Ermittlungen. Mal geht es um Grundstücksgeschäfte nahe der Innenstadt, wo die "Aufnahme detaillierter Ermittlungen" ratsam sei. Mal geht es um das merkwürdige Verhalten eines Anwalts. Am Ende steht der leicht kryptische Satz, dass durch die Ermittlungen im Fall Klockzin „Bereiche berührt worden sein könnten, die nicht bekannt werden sollen".
Hinweise auf Ungereimtheiten aber gab es auch im Umfeld der Ermittler selbst. So wurde der leitende Beamte der OK-Abteilung bei der Leipziger Polizei, Georg W., im Rahmen einer spektakulären Razzia von rund 50 LKA-Beamten im Oktober 2002 aus dem Rennen genommen. Es ging um den Verdacht der Strafvereitelung im Amt, der Beamte wurde suspendiert. Im Frühjahr 2006 wurde er zwar schließlich freigesprochen, der brisante OK-Bereich aber war ihm längst entzogen worden. Zu einigen Spekulationen hat auch das Schicksal eines weiteren OK-Ermittlers geführt. Der Polizeibeamte in Plauen wurde tot aufgefunden - Selbstmord.
Wie heikel die Ermittlungen sind, hat sich ganz, offensichtlich auch jetzt in Leipzig gezeigt. Aus Sicherheitskreisen in Dresden verlautete, dass eine „Quelle" des Verfassungsschutzes in Leipzig Ende vergangenen Jahres einem Drogenanschlag beinahe zum Opfer gefallen sei. Eine weitere Zeugin werde seit rund einem Jahr bedroht — so auch vor wenigen Wochen mal wieder, kurz vor ihrem geplanten Aussagetermin.
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Hintergrund: Schwieriges Wirken der Verfassungsschützer
Bei Organisierter Kriminalität (OK) handelt es sich um planmäßig ausgeführte Straftaten, hinter denen wirtschaftliche Interessen stehen. Dabei nehmen die Drahtzieher gezielt Einfluss auf Politik, Verwaltung, Justiz und Polizei. In Sachsen durfte der Verfassungsschutz den OK-Bereich laut Gesetz ab 9. September 2003 observieren, also nahezu exakt ein Jahr vor der Landtagswahl. Dazu wurde ein spezielles OK-Referat im Landesamt gegründet. In der Folge beobachtete der Verfassungsschutz das Milieu im Vorfeld, mit V-Leuten und verdeckten Mitteln.
In Leipzig ermittelten gleich mehrere V-Leute, zwei davon sollen unabhängig voneinander nahezu identische Detailberichte geliefert haben. Dabei scheint die Aktenlage weitgehend dicht zu sein, im Gegensatz zu den Komplexen Chemnitz oder Vogtland. Dennoch wurden die Leipziger Akten nicht an die Staatsanwaltschaft geleitet. Das Landesamt trieb die Sorge um, geheime Quellen könnten dadurch in Gefahr geraten.
Anders als die Polizei kann der Verfassungsschutz Informationen sammeln, ohne die ermittelten Straftaten umgehend zu übergeben. Am 21. Juli 2005 schränkte das Landesverfassungsgericht die OK-Beobachtung durch die Schlapphüte ein. Seitdem ist diese allein Sache der Polizei, der Verfassungsschutz darf nur noch eingreifen, wenn die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet ist. Von eben dieser Annahme ging das Landesamt auch nach dem Gerichtsurteil aus und observierte weiter. 2006 intervenierte Sachsens oberster Datenschützer Andreas Schurig. Er warf den Ermittlern vor, selbst gegen die Verfassung zu verstoßen.
Seitdem sind die Akten unter Verschluss, lediglich die Parlamentarische - Kontrollkommission (PKK) des sächsischen Landtags beschäftigt sich mit dem heiklen Thema.
Am 28. Mai 2006 reagierte schließlich das Land, stellte die OK-Beobachtung durch den Verfassungsschutz ein. Dennoch rügte Schurig das Vorgehen und forderte die Vernichtung des OK-Materials. Auch dürfen die Erkenntnisse seiner Meinung nach nicht mehr anderen Sicherheitsbehörden — ob Polizei oder Staatsanwaltschaft — übermittelt werden.