Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 05.06.2007

Straftat ohne Strafe

Wie aus Theorie plötzlich Praxis werden kann
 
Alle vier Jahre veranstaltet der Deutsche Richterbund seinen so genannten "Deutschen Richter-und Staatsanwaltstag". Mit Vorträgen und Podiumsdiskussionen wird die Öffentlichkeit dann jeweils über die aktuellen Probleme der Justiz informiert. Der nächste Kongress findet im Herbst in Würzburg statt, der letzte in dieser Reihe tagte 2003 in Dresden. Wer sich die damalige Programmplanung ansieht, kommt nicht umhin, den Ausrichtern geradezu prophetische Gaben zuzugestehen. Denn es ging um das heikle Thema ,,Straftat ohne Strafe" und zuständig für diesen Veranstaltungsteil war der sächsische Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm.

Ausgerechnet ihm, dem Chefankläger des Freistaates, wird in diesen Tagen vorgeworfen, was man landläufig als Behinderung von Ermittlungen und Strafvereitelung bezeichnet. Wäre es so, wie namhafte Juristen und Politiker meinen, dann trüge Schwalm Mitverantwortung dafür, dass in Sachsen schwere Fälle von Wirtschaftskriminalität nicht ordnungsgemäß verfolgt wurden und dass Täter ihrer gerechten Strafe entgehen konnten.

Solche Vorwürfe, wie sie jetzt im Raume stehen, würden den Glauben des Bürgers in die Unabhängigkeit der Justiz bereits dann schwerst erschüttern, wenn ein nachgeordneter Staatsanwalt beteiligt wäre. Im Falle eines Generalstaatsanwalts sind sie aber derrechtsstaatliche Gau, der größte anzunehmende Unfall.

Auf einer Sondersitzung, die die Linkspartei verlangt hat, wird sich der sächsische Landtag heute erstmals mit der brisanten Materialsammlung des Verfassungsschutzes und ihren politischen Folgen beschäftigen. Die Erwartungen der Öffentlichkeit sind extrem hoch. Die Bürger wollen wissen, wer und was sich alles auf jenen 15.000 Blatt Papier wiederfindet und wie über Jahre hinweg in Sachsen ein Korruptionsnetz funktionieren konnte.

Halsbrecherischer Vorabfreispruch.

Deshalb ist auch die forsche Behauptung des Justizministers, Sachsen sei kein Sumpf und der nun hochkommende Korruptionsskandal auch keine Staatskrise, ein halsbrecherischer Vorabfreispruch. Statt Vorwürfe wieder einmal klein reden zu wollen, sollte. die Landesregierung langsam damit beginnen, ganz einfache Fragen zu beantworten. Zum Beispiel diese: Wann hat welcher Minister von der laufenden Materialsammlung des Verfassungsschutzes erfahren? Mit wem hat er anschließend sein Wissen geteilt? Welche Anweisungen hat er dem Verfassungsschutz, der Staatsanwaltschaft oder der Polizei gegeben?
von Dieter Soika