Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 08.06.2007

Thomas de Maizière in Erklärungsnot

Der heutige Chef des Bundeskanzleramts soll als früherer Innenminister belastende Geheimakten zurückgehalten haben.
 
In der Affäre um die Geheimakten des sächsischen Verfassungsschutzes ist der ehemalige sächsische Innenminister und heute Chef des Bundeskanzleramtes, Thomas de Maizière (CDU), massiv unter Druck geraten. Abgeordnete aus mehreren Fraktionen des sächsischen Landtages werfen ihm Rechtsbruch vor und fordern, dass er seine aktuelle Funktion als Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung sofort ruhen lässt.

De Maizière soll die Akten, die jetzt für massive Vorwürfe wegen Korruption und Amtsmissbrauch gegen Politiker, Juristen und Polizisten sorgen, während seiner bis Ende 2005 dauernden Dresdner Amtszeit nicht wie vorgeschrieben an die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtages (PKK) übergeben haben. Der PKK-Chef Gottfried Teubner (CDU) selber gehört in dem Fall zu den heftigsten Kritikern von de Maizière. „Ich habe den Vorwurf des Rechtsbruchs nach gründlicher Überlegung erhoben. Ich werde ihn auch nicht zurücknehmen“, sagte er der SZ.

Staatsanwalt soll eingreifen

Im Gegensatz zu Teubner hatte zuvor die CDU-Landtagsfraktion de Maizière vor den Vorwürfen in Schutz genommen. Dafür wurde dieser aber vom Koalitionspartner SPD umso heftiger attackiert. Bundeskanzlerin Angela Merkel müsse jetzt die Konsequenzen ziehen und de Maizière von seinen Geheimdienstaufgaben entbinden, forderte der Abgeordnete Stephan Brangs. André Hahn (PDS) sagte, de Maizières vorsätzlicher Gesetzesbruch müsse ein Fall für die Staatsanwaltschaft werden. Auch die Grünen schlossen sich der Kritik an.

Kanzleramtsminister Thomas de Maizière selbst hat den Vorwurf des Rechtsbruchs im Zusammenhang mit der Beobachtung krimineller Netzwerke in Sachsen gestern zurückgewiesen. Die Sprecherin des CDU-Politikers sagte der SZ, „der Vorwurf trifft nicht zu“. De Maizière habe in seiner Zeit als sächsischer Innenminister entschieden, die staatsgefährdenden Fälle weiter durch den Verfassungsschutz des Freistaates beobachten zu lassen. „Die Erkenntnisdichte war aber seinerzeit nicht so hoch, dass die Parlamentarische Kontrollkommission hätte informiert werden müssen“, sagte die Sprecherin.

Sachsens Regierungschef Georg Milbradt (CDU) ging in seiner gestrigen Regierungserklärung auf die Vorwürfe gegen de Maizière mit keiner Silbe ein. Er nannte die Korruptionsaffäre eine „harte Bewährungsprobe für Demokratie und Rechtsstaat“. Die Staatsregierung werde „weiterhin die rechtschaffenen Bürger vor Kriminalität schützen und das Vertrauen in die Integrität der sächsischen Behörden sichern“. Milbradt warnte zugleich die Opposition davor, aus der Affäre parteipolitisches Kapital zu wollen. „Unser Ziel ist nicht die Bekämpfung des jeweiligen politischen Gegners, sondern die Bekämpfung der Kriminalität.“

Wirbel um vernichtete Akten

Nach SZ-Informationen ist die Zahl der Personen, die in den Verfassungsschutzakten als Beschuldigte aufgeführt sind, mittlerweile auf ein deutlich dreistellige Zahl angewachsen. Darunter sind neben Politikern, Juristen und Beamten jedoch auch eine große Zahl von Angehörigen krimineller Banden.

Gleichzeitig nimmt der Druck auf den Geheimdienst zu, dem vorgeworfen wird, bereits mehr als 20 Aktenordner mit brisanten Informationen über Mafia-Netzwerke vernichtet zu haben statt sie der PKK zu übergeben. Sachsens Datenschutzbeauftragter Andreas Schurig bestätigte der SZ, dass er dazu heute eine offizielle Anfrage an die Staatsregierung einreicht. Zudem verhandeln PDS, FDP und Grüne zurzeit darüber, den geplanten Untersuchungsausschuss zur der Affäre gemeinsam zu beantragen.
Von Gunnar Saft, Annette Binninger und Sven Siebert