Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 14.06.2007

Der Getriebene

Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) wirkt in der Akten-Affäre überfordert.
 
Wie ein aufgescheuchter Vogelschwarm irrt die Staatsregierung seit nunmehr vier Wochen wild durcheinander. Und Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) flattert dazwischen wie ein kleiner hilfloser Vogel. Kaum hat er etwas öffentlich gesagt, folgen schon kurz darauf die „Präzisierungen“ schriftlich aus seinem eigenen Haus. Tenor: Der Minister habe das gar nicht so, sondern eher so gemeint. Erst spricht Buttolo von Bedrohungen durch die Mafia. Dann sagt er, ihm sei gegenwärtig davon nichts bekannt.

Die Regierung scheint die Krise, die der Verfassungsschutz mit seiner brisanten Daten-Sammlung über mögliche Verstrickungen höchster Politik- und Justizkreise in kriminelle Netzwerke ausgelöst hat, nicht in den Griff zu bekommen. Und so gibt es längst Kritik aus den eigenen Reihen. „Ich würde es begrüßen, wenn die Regierung endlich mit einer einheitlichen Strategie auftreten würde“, fordert etwa Ex-Innenminister Heinz Eggert.

Als Mann aus der zweiten Verwaltungsreihe war Buttolo im November 2005 vom Staatssekretärs-Posten auf den Minister-Stuhl hochgerutscht. Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) musste seinen Wunschkandidaten damals erst lange überreden, bevor er die Lücke, die Thomas de Maizière hinterlassen hatte, zu füllen bereit war.

Zu spät reagiert

Bis dahin hatte der gebürtige Freiberger – ein Gemütsmensch, ein Typ, dem man schwer böse sein kann, freundlich, besonnen – lediglich den millionenschweren Wohnungsbau-Etat des Freistaats verwaltet. Erst mit seiner hartnäckigen Werbe-Tour für die Kreis- und Verwaltungsreform hatte er in den vergangenen Monaten erstaunlich schnell an Kontur gewonnen. Doch viel ist davon nicht mehr übrig geblieben. Buttolo ist zum Getriebenen geworden in einer Politik-Affäre, die eine bisher in Sachsen unbekannte Dynamik entwickelt.

Zunächst reagierte er viel zu spät auf die ersten zaghaften Warnhinweise. Zumindest Mitarbeiter des Innenministeriums waren seit Langem über Beobachtungen im Bereich der Organisierten Kriminalität informiert. Im Januar 2006 hatte auch Buttolo, das hat er inzwischen eingeräumt, ein Schriftstück dazu auf dem Tisch. Spätestens im März 2006 lag dem Minister dann ein erster interner Bericht zum Akten-Inhalt vor. Nur: Buttolo handelte auch dann nicht. Er informierte weder die Staatsanwaltschaft noch die Kontrollgremien des Landtags über die eifrig zusammengetragene Akten-Sammlung.

Buttolo zögerte so lange, bis Datenschützer schließlich Mitte Mai ihr Veto gegen die Nutzung der Akten einlegten, weil ihr Zustandekommen rechtswidrig sei. Dabei blieb es, bis die Affäre durch Medien öffentlich wurde – und Buttolo im Landtag überraschend mit einer dramatischen Rede über die Mafia-Krake in Sachsen schockierte und vor deren langem Arm warnte.

Für die Akten hat er noch immer nicht den schnellen Weg zur Staatsanwaltschaft gefunden. Längst hat ein bizarres Tauziehen um die Akten begonnen, die dem Innenminister wie glühende Kohlen in den Händen brennen. Doch weil die Informanten in den Akten geschützt werden müssen, darf er sie nicht einfach weiterreichen. Und das bringt ihn gleich mehrfach in Bedrängnis. Für die Opposition ist das eine Steilvorlage. Die PDS monierte gestern fehlenden Aufklärungswillen und drohte, den Landtag erneut zu einer Sondersitzung zusammenzurufen, wenn Buttolo die Akten-Herausgabe „blockiere“.

Druck vom Justizminister

Und auch Justizminister Geert Mackenroth (CDU) macht seit Wochen unverhohlen Druck auf Buttolo und profiliert sich selbst als „rückhaltloser“ Aufklärer. Dass nun die Staatsanwaltschaft Dresden ultimativ bis zum 1. Juli sämtliche Verfassungsschutz-Akten angefordert hat, wird sogar in Unionskreisen als Misstrauensvotum gegenüber dem Innenminister gewertet. „Der bekommt das nicht in den Griff, und wir wollen das nicht auf uns sitzen lassen, dass wir nicht sorgfältig aufklären wollen“, heißt es aus Justizkreisen. Dabei verliert der Innenminister inzwischen auch den Rückhalt in der Polizei, die sich ähnlich wie Teile der Justiz durch die Dauer-Affäre unter Generalverdacht gestellt sieht. Die Staatsregierung sei kein „vertrauenswürdiger Partner bei der lückenlosen Aufklärung“ mehr, erklärte gestern die Gewerkschaft der Polizei.

Dass Buttolo über die Affäre stürzen wird, scheint momentan eher unwahrscheinlich. Denn Buttolos größter Fürsprecher ist Regierungschef Milbradt. Der will Buttolo, der beliebt in Partei und Fraktion ist, in jedem Fall halten. Mit Buttolo steht und fällt die Kreis- und Verwaltungsreform, die 2008 greifen soll. Und so stehen die Chancen für ein längeres politisches Überleben des Innenministers gut. Um welchen Preis für die CDU, das könnte sich schon bei den Kommunalwahlen im kommenden Frühjahr zeigen.
Von Annette Binninger