Karl Nolle, MdL

DIE ZEIT 24/2007, 14.06.2007

Von oben gestoppt?

Akten der Leipziger Polizei scheinen zu belegen, dass die sächsische Justiz und dahinter stehende Kreise versucht haben, Ermittlungen gegen das organisierte Verbrechen zu verhindern.
 
Akten der Leipziger Polizei scheinen zu belegen, dass die sächsische Justiz und dahinter stehende Kreise versucht haben, Ermittlungen gegen das organisierte Verbrechen zu verhindern.

Wäre das Ganze ein Krimi, der Leser würde das Buch schnell zur Seite legen. Zu viel, zu krass, zu unglaubwürdig Wer derzeit die Nachrichten aus Sachsen verfolgt, kann sich nur wundern. Tag für Tag tauchen weitere heikle Details der Korruptionsaffäre auf.

Allein: Was davon zu halten ist, darüber sind sich Politiker und Juristen gar nicht einig. Nur wenige Menschen hatten Einblick in den 15600 Seiten umfassenden Aktenberg, den das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz in den Jahren von 2003 bis 2006 anlegte und der die angebliche Verstrickung von Politik, Justiz und Unterwelt dokumentieren soll. Ist er vor allem die Hinterlassenschaft eines Geheimdienstes, der in Verkennung der eigenen Bedeutung seine Grenzen überschritten hat? Eine Gerüchtesammlung? Oder gibt es tatsächlich Hinweise auf Seilschaften, die die sächsische Justiz zu blockieren drohten?

Einige Akten des Leipziger Polizeikommissariats K26, das bis 2002 die organisierte Kriminalität bekämpfte, lassen den Verdacht nicht ganz abwegig erscheinen. Am 16. Oktober 2002 findet eine ungewöhnliche Razzia in den Räumen der K26 statt. Fünfzig Beamte des Landeskriminalamtes (LKA) durchsuchen die Büros ihrer Kollegen, nehmen Akten und Mobiltelefone an sich. Anlass ist das angeblich unlautere Verhalten der K26-Beamten bei der Sicherung einer großen Menge Rauschgift. Die Vorwürfe können nicht bewiesen werden, trotzdem wird K26-Chef Georg Wehling vom Dienst suspendiert. Unterdessen nehmen sich zwei LKA-Beamte den ehemaligen Dealer und K26-Informanten Frank F. vor. Sie versprechen ihm Strafmilderung, »wenn ich gegen Herrn Wehling Aussagen machen würde«, schreibt F. in seiner eidesstattlichen Versicherung, die der ZEIT vorliegt. F. geht nicht auf das Angebot ein, er sitzt noch heute im Gefängnis. Das LKA erklärt dazu, dass gegen beide Beamte Anzeige erstattet wurde, die eingestellt wurde.

Wehlings Rechtsanwalt Rainer Wittner glaubt, dass sein Mandant aus dem Weg geräumt werden sollte. »Das K26 war auf ein Beziehungsgeflecht von Leuten aus dem Milieu, Immobilienmaklern, Polizisten und Juristen gestoßen. Da versuchten wohl einige, Leute aus dem K26 kaltzustellen.« Wehling wusste um prominente Fälle. 1993 wurde das Kinderbordell Jasmin ausgehoben, in dem hochgestellte Personen der Leipziger Gesellschaft verkehrt haben sollen. Als dem Bordellbesitzer MichaelW. der Prozess gemacht wird, wird er zu der erstaunlich milden Strafe von vier Jahren Haft verurteilt. Am 16. Mai 2000 erklärt W. dem K26 in einer Zeugenaussage: »Das Gericht hatte großes Interesse daran, dass in der Verhandlung keine ›dreckige Wäsche‹ gewaschen wird, dass ich keine Angaben zur Kundschaft mache.« Das K26 leitet die Akte an die Staatsanwaltschaft weiter. Angeblich ohne Ergebnis, ein Verfahren wird nicht eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft Leipzig gab bis Redaktionsschluss keine Stellungnahme dazu ab.

»Es gab und gibt in Sachsen eine weisungsgebundene Justiz.« Davon ist Stefan Brangs (SPD), Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK), ebenso überzeugt wie Klaus Bartl, rechtspolitischer Sprecher der Links-Fraktion im sächsischen Landtag. Längst beschäftigen die PKK und den Sächsischen Landtag nicht nur die Vorgänge der Vergangenheit. Im Zentrum steht die Frage, wer die politische Verantwortung dafür trägt, dass die PKK angeblich viel zu spät über die Erkenntnisse des Geheimdienstes erfahren hat. Die Kontroverse hat bereits erste personelle Konsequenzen: Verfassungsschutzchef Rainer Stock wurde ins Innenministerium strafversetzt. Doch auch Kanzleramtschef Thomas de Maizière, der bis 2005 sächsischer Innenminister war, steht weiterhin in der Kritik. Selbst sein Parteikollege Gottfried Teubner, der Vorsitzende der PKK, wirft ihm Rechtsbruch vor. Denn laut Paragraf17 des sächsischen Verfassungsschutzgesetzes ist er gehalten, die PKK von allen Vorkommnissen von besonderer Bedeutung zu unterrichten. Die »Erkenntnisdichte« der Akten sei zu gering gewesen, verteidigt sich de Maizière. Nun muss er erklären, warum er den Verfassungsschutz dann trotzdem weiterhin Daten sammeln ließ, nachdem das sächsische Verfassungsgericht im Juni 2005 dem Geheimdienst die Beobachtung der organisierten Kriminalität weitgehend verboten hatte – mit Ausnahme staatsgefährdender Fälle.
Von Angela Köckritz