Karl Nolle, MdL
STERN 26/2007, 21.06.2007
Leipziger Völlerei
Nach der Wende bildete sich in der Messestadt ein Klüngel aus westdeutschen Politikern, Beamten und Geschäftsleuten
Nach der Wende bildete sich in der Messestadt ein Klüngel aus westdeutschen Politikern, Beamten und Geschäftsleuten – und räumte beste Immobilien ab. Man fühlte sich in der Fremde, das schweißt zusammen. Akten des Verfassungsschutzes erzählen nun von Korruption und Mordversuch.
Natürlich steckt auch Milbradt mittendrin. Seit Monaten hängt er hinter diesem Tresen, nach Aktenlage genau im Zentrum des sächsischen Sumpfes, und grinst, als wüsste er sowieso Bescheid. Neben dem Ministerpräsidenten klebt ein ahnungsloses Fernsehgesicht vom MDR, darunter andere Autogrammkarten und über allem ein Zeitungsausschnitt, der "Das Wohnzimmer der Promis" erklärt.
Bei Babis in der „Trattoria No.1"treffen sich Promis, Haneromis und Geschäftemacher
Babis, der Wirt, hat damit die Wand hinter seiner Bar verziert. Er schmückt sein Lokal gern mit halbwegs bekannten Gästen – und sie sich mit ihm. In der Trattoria No. 1" spielt die Leipziger Möchtegern Society „Paris Bar". Die Stammgäste stammen zwar selten von hier, aber dafür wird jeder vom Wirt mit Handschlag und Vornamen begrüßt. Das freut kleine Baulöwen und großspurige Anwälte, Journalisten und Serienschauspieler. Denn dann gehört man dazu– nur wozu, das ist seit einigen Tagen nicht mehr ganz klar.
Der Laden ist trotzdem voll. Gerüchte schwirren. Doch den üblichen Tratsch über Mandate und Mätressen, selbst Michas Heimweh nach Bochum, will im Moment niemand hören. Alles ist auf einmal langweilig – außer diesen Fragen: Wer steht noch in den verdammten Akten? Was kommt als Nächstes raus? Und wer ist die Quelle mit dem Decknamen "Jaguar"?
Laut inzwischen nicht mehr ganz geheimen Akten des Sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) soll es ausgerechnet in diesem schwatzhaften Lokal zu „rechtswidrigen Absprachen" zwischen Unternehmern und „hochrangigen Vertretern der Stadtverwaltung" gekommen sein. Vorwürfe dieser Art sorgen seit Wochen bundesweit für helle Aufregung. Von „schockierenden Erkenntnissen" spricht Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo, Journalisten werden bedroht, und auf einmal scheinen alle möglichen Schweinereien im Zusammenhang mit korrupten Beamten und der Privatisierung von Immobilien ans Licht zu kommen, vor allem in Leipzig, vor allem aus den 90er Jahren.
Aber weil das immer noch alles sehr vage ist und zumindest in der Trattoria sowieso
jeder jeden beim Vornamen nennt, soll es auch in dieser Geschichte dabei bleiben.
„Der Burkhard, zum Beispiel", so verrät ein „guter Freund" über den Lehrer aus Siegen, der heute Oberbürgermeister ist, sei höchstens zehnmal hier gewesen, aber auf jeden Fall öfter als seine Dezernenten-Kollegen Peter und Holger aus dem Rathaus, die auch in den Akten stehen. „Doch keiner von denen", sagt der Wirt, „hat hier jemals länger zusammen oder gar regelmäßig an einem Stammtisch gesesseri.“ Das weiß er deshalb besser als die Akten, weil er „die Jungs" natürlich alle kennt und manche von denen bei Babis schon ewig keine Pasta mehr bekamen. Basta. Mehr möchte der Wirt dazu nicht sagen.
Schlimm genug, dass zumindest Politiker sein italienisches Restaurant auf einmal meiden, als wäre es eine Mafia-Kantine. Dass Olli und Burkhard plötzlich Anwälte bezahlen müssen, nur weil sie auch schon mal in der Waldstraße essen waren. Dabei werden die angeblichen „Tafelrunden", die sie seit entsprechenden Zeitungsberichten dementieren lassen, auf keiner der über 15 000 Aktenseiten so genannt. Babis wüsste zu gern, ob die Spitzel überhaupt da waren: Hat er ihnen womöglich auch die Hand gedrückt? Bezahlt er so was etwa mit seinen Steuern?
Nicht mal seinen Namen haben sie richtig geschrieben. Und im Grunde kann er froh sein, dass sie keinen Italiener aus ihm gemacht haben, sondern richtig notierten, er sei eigentlich Grieche. Immerhin soll vor allem die Mafia in Leipzig seit Jahren, ganze Straßenzüge kaufen und so Milliarden waschen, wie die Agenten an anderer Stelle berichten. Das aber können sie genauso gut im stern gelesen haben – 1993, vor 14 Jahren.
Auch aus solchen Details schnürten die Verfassungsschützer 2006 den Leipziger „Komplex Abseits" und vier weitere Dossiers für andere Regionen zusammen. Ihre Informanten, sonst auf Nazis und Terroristen angesetzt, nahmen zwischen 2003 und 2005 auch mal die organisierte Kriminalität unter die Lupe, bis das ein sächsisches Verfassungsgerichtsurteil wieder verbot. Eher aus Versehen soll das Amt dabei auf mafiöse Strukturen der einheimischen Verwaltung gestoßen sein: auf Staatsanwälte und Richter, auf Korruption, Kungelei und Kinderpornos.
Der sächsische Datenschutzbeauftragte erkannte das Dilemma zuerst und wollte sofort alles schreddern. Neben vielen bekannten Namen muss er auch den eines ehemaligen Bürgerrechtskollegen gelesen haben– angeblich Nuttenbeschaffer und Bindeglied zwischen Leipziger Unterwelt und Rathaus. Nun streitet man in Sachsen: Ob das wirklich alles wahr sein darf? Wer was eher wusste? Was vertuscht wurde und nun womöglich „illegal" rauskam ? Wie belastbar sind diese Informationen überhaupt?
Zumindest in Leipzig arbeiteten die drei „von der Fallführung als glaubwürdig" bewerteten Quellen entweder extrem schlampig, verwechselten Namen und Parteien und flüsterten vieles ungefiltert weiter, was an Gerüchten seit Jahren aus der Pleiße wabert. Oder ihre Berichte wurden absichtlich mit allerlei schillernden Sumpfblüten garniert, um die wenigen handfesten Ermittlungsansätze zu kriminellen Strukturen in Amtsstuben und Gerichten später genauso lapidar vom Tisch zu wischen. Der Klassiker Desinformation. In Wirklichkeit ist der Leipziger Filz nie ein Geheimnis gewesen, eher Tradition.
Wegen unzähliger Amigo-Affären hielt der Freistaat Sachsen schon 2004 eine neuartige Waffe für nötig, die der damalige Justizminister Thomas de Maiziere so vorstellte: „Mit INES verfügt Sachsen über eine schlagkräftige Ermittlungseinheit gegen Korruption, die in Deutschland ihresgleichen sucht“ Vermutlich meinte er damit die 59 Sonderermittler, nicht die beispiellose Korruption. Und INES hat seitdem fast ausschließlich in Leipzig zutun.
„Gegen den Leipziger Sumpf ist der Kölner Klüngel wie Kinderfasching"
„Gegen den Leipziger Sumpf ist der Kölner Klüngel wie Kinderfasching", sagt einer, der bisher nur ahnt, dass er auch in den Akten vorkommt, das beinahe wünscht, so sicher fühlt er sich: „Ist ja fast schick und eh alles verjährt." Er gehört zu einem Netzwerk aus Juristen und Geschäftsleuten, die sich über alle Parteigrenzen hinweg hier in wenigen Jahren zu einem Filz verwoben haben, für den westdeutsche Städte normalerweise Generationen brauchen und die nur eins gemeinsam haben: Fast alle sind neu in der Stadt.
In den frühen 90er Jahren kommen sie als Spekulanten oder Aufbauhelfer, um das verlotterte Volkseigentum und alle wichtigen Posten unter sich aufzuteilen. Die einen bringen Gier mit, die andern Euphorie und Tatendrang, doch oft lässt sich das nicht trennen. Es ist die Zeit der kiloschweren Henkel-Handys, der Kräne und Boomtown- Prophezeiungen. Vor allem tobt der Kampf um die Grundstücke.
Um den Aufbau von Justiz und Verwaltung kümmern sich unterdessen die fähigsten Juristen und Beamten, die man im Westen entbehren kann. Manche werden in Baden-Württemberg oder Bayernlauch mit Kusshand abgeordnet oder hätten dort auf vergleichbare Posten ewig warten müssen. Es gehört aber auch Abenteuerlust zum Einsatz mit Buschzulage.
Sie arbeiten viel, teilen sich aus Mangel an freien oder bewohnbaren Wohnungen oft ein Dach überm Kopf und sitzen abends in den wenigen Kneipen, die ihren Ansprüchen schon genügen. Der Landgasthof „Podelwitz“ im Norden der Stadt gilt lange als Freizeitasyl, man entdeckt die „Gosenschenke" und schließlich Babis für sich, der damals noch ein echter Grieche ist. Untereinander gibt es – anders als tagsüber zu den Ureinwohnern – kaum Berührungsängste. Alle rücken in der Fremde zusammen: Polizeipräsident und Bankdirektor, Immobilienleute und Justizbeamte, Anwälte und offen kriminelle Glücksritter. Die Wirte schwitzen oft wegen dieser Mischung und putzen ständig die Koksspuren von den Klos. Bald tauchen die einsamen Männer mit Schlips auch immer öfter in Diskotheken auf, erst im „Schauhaus", später im „Markt 1", eine Altherrendisco voller Friseusen aus dem Umland.
„Wer dort nicht hinging, wüsste gar nicht, was los ist", erinnert sich Micha aus Bochum, der zunächst Amtsleiter bei der Stadt ist, bevor auch er in Immobilien macht Die Veteranen schwärmen noch heute gern davon, welchem Studienfreund sie Jobs verschafft haben, mit wem sie im Puff waren, wie sie dieses und jenes Ding gedreht haben. Ach, wilde Zeiten waren das! Geschäfte! Und die Weiber erst!
Die Verführung lauert überall: Viele sind verwirrt von den Leipziger Mädchen. Das kennen sie so ungezwungen nicht. Aber immer wieder kommt es auch vor, dass nach einer fröhlichen Nacht der muskulöse Freund des Mädchens 3000 Mark Entschädigung verlangt Wochenendehen geraten in Gefahr. Fotos entstehen. Ein Kinderspiel für Erpresser.
Als die Polizei 1993 eine Wohnung stürmt, die hinterher als Kinderbordell „Jasmin" durch die Medien geht, ziehen auch viele Beamte den Kopf ein. Einer gesteht heute: „Das waren 16-Jährige, die sich als volljährig ausgaben und auch so aussahen:` Der Zuhälter hielt sie wie Sklavinnen und bekommt nur vier Jahre dafür. Später prahlt er von einem Deal mit der Justiz, weil er sonst über bestimmte Freier ausgepackt hätte. Abhängigkeiten dieser Art wuchern überall: Immobilienhaie richten Notaren Büros ein. Aus dem Rathaus verschwinden heiße Listen'von Häusern und Namen alter Leute, die dafür Rückübertragung beantragt haben. Sie werden bei Hausbesuchen zum Verkauf gedrängt. Solches Wissen ist Gold wert Und jeder weiß etwas über den anderen.
Für viele Aufbauhelfer in Justiz und Verwaltung muss es unerträglich sein, dabei zuzusehen, wie ihre Freunde aus der entfesselten Immobilienbranche die Grundbücher füllen und sich damit abends auch noch brüsten, während sie sich mit Problemen wie der Leipziger Wohnungsund Baugesellschaft (LWB) herumschlagen, die damals 134000 Wohnungen verwaltet. Statt zu bremsen, nehmen manche den grundsätzlichen Auftrag zur Privatsierung nun auch wörtlich. Wie dreist sie es treiben, blitzt nur selten in der Öffentlichkeit auf. Meist ist es dann zu spät.
Als die Stadt 1999 das Henriette-Goldschmidt-Haus abreißen will, um eine Straße auszubauen, kommt heraus, dass dieses geschichtsträchtige Haus 1991 in aller Stille für 38 000 Mark an eine Rathausangestellte verkauft worden war, obwohl es als seit 1920 jüdisches Stiftungsgut für immer im Besitz der Stadt bleiben sollte. Angeblich war es abbruchreif und doch später beim Weiterverkauf im gleichen Zustand 1,2 Millionen Mark wert. Am Ende zahlt die Stadt für den Rückkauf mehrere Millionen.
Mit Wendewirren erklärt die Stadtverwaltung solche Vorgänge gern. Der damalige Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube fühlt sich Mitte der 90er Jahre trotzdem genötigt, eine Untersuchung anzuordnen, als der Verdacht immer lauter wird, drei Manager seiner Verwaltung mit Insiderwissen hätten sich an Immobilien bereichert Natürlich erweisen sich die Vorgänge alle als rechtens. Nur, leider, verbietet der Datenschutz die Veröffentlichung der Untersuchung.
Bochum-Micha ist damals einer der Verdächtigen und wohnt mit Martin von der LWB in einer Art Gästehaus der Stadt. Der ist für die Privatisierung der städtischen Wohnungsgesellschaft zuständig und gilt später als Held, weil er Tausende Plattenwohnungen an die Berliner AubisGruppe veräußert. Mit dem sogenannten Zwischenerwerbermodell, für das die Aubis bei Berliner Banken hohe Kredite aufnimmt, sollen in Leipzig Altschulden getilgt werden. Es ist der Anfang vom Berliner Bankenskandal.
Im Oktober 1994 klingelt ein falscher Telegrammbote bei Martin und schießtihn nieder. Er soll dem LWB-Manager eigentlich „nur einen Denkzettel" verpassen,
hat aber noch nie vorher geschossen. Zum Glück überlebt sein Opfer. Und die danach unvermeidbaren Prozesse lassen erstmals auch die Verstrickung der Justiz ahnen.
Der vermindert schuldfähige Schütze bekommt zwölf Jahre, drei Hintermänner lebenslänglich — für einen versuchten Mord und weit über den Anträgen der Staatsanwaltschaft. Erst Jahre später stehen die eigentlichen Auftraggeber vor Gericht, auf die es von Anfang an Hinweise gibt: zwei Immobilienhändler aus dem Allgäu, die überall Käse verschenken und im Milieu von Leipzig ihr neues Zuhause gefunden haben. Während der Ermittlungen sollen auch sie mit ihrem angeblichen Wissen über hochrangige „Kinderficker im Jasmin"' gedroht haben. Trotzdem kommen sie gegen Zahlung von je 2500 Mark an den Weißen Ring mit einer Verfahrenseinstellung davon. Ihre Mittäter sitzen bis heute.
Die Nebenklage für das Attentatsopfer vertritt eine Anwältin aus München. Es ist das Mindeste, was sie für Martin tun kann. Immerhin hat sie ihm das LWB Haus in der Riemannstraße 52 zu verdanken, weshalb die Käse-Spekulanten so sauer waren.
Die Anwältin musste mit 350 000 Mark nur etwa die Hälfte von dem bezahlen, was die Allgäuer für die Riemannstraße 52 schätzen ließen. Sie hatte sich dafür verpflichtet, behindertengerechte Sozialwohnungen zu bauen. Gleichzeitig sollten wohl noch andere Geldforderungen an die LWB mit diesem Schnäppchen kompensiert werden. In den Augen der beiden Immobilienhaie gibt es dafür nur eine Erklärung: Mauschelei. Aus eigener Erfahrung wissen sie, was zu dieser Zeit in Leipzig über Bestechung, Einschüchterung und Freundschaftsdienste alles läuft, und tatsächlich verfügt ihre Konkurrentin über beste Verbindungen: Ihr Lebensgefährte ist Vizepräsident am Landgericht, das die Beschwerde, mit der sich die Allgäuer zunächst legal gegen Martins Entscheidung wehren, abweist. Den Fall hat ausgerechnet eine Richterin auf dem Tisch, die mit einem gewissen Norbert zusammenlebt, der dort auch Richter ist und zudem der beste Freund des Vizepräsidenten. Jeden Mittag gehen die beiden essen, ein Ritual, das heute wie das einzig gültige Gesetz in Leipzig anmutet. Gegen diesen Juristenklüngel haben die Allgäuer keine Chance, sie rächen sich an Martin.
Unsichtbare Kräfte müssen die beiden trotzdem lange geschützt haben - die
wahren Hintergründe für den Anschlag und den Immobilien-Deal sollten wohl nie herauskommen. Norbert, der beste Freund ihrer alten Konkurrenten, ist inzwischen Oberstaatsanwalt in Leipzig und macht, so zumindest die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes, keinen Hehl aus seiner Macht. Angeblich hat er seinen Chef in der Hand Beschwerden über ihn versickern auf dem Weg ins Ministerium. Er intrigiert gegen den Generalstaatsanwalt, weil er glaubt, der behindere seine Beförderung, und womöglich verrat er auch Überwachungsmaßnahmen der Polizei an Rotlichtgrößen. Vor ihm und seinem Freund Roland, der in fast jede Leipziger Affäre verstrickt scheint, zittern viele.
Selbstmord aus Liebeskummer bleibt die offizielle Version
Als Walter, ein Bankdirektor aus Bayern und Schatzmeister der Leipziger CDU, einmal von Roland in den Garten eingeladen wird, hält er das für den Gipfel der Intimität: zum Grillen bei einem Ossi! Später teilt er mit ihm allerlei Rotlichtabenteuer.
Zur Clique gehört auch ein Landtagsabgeordneter, der ihre Interessen in Dresden durchsetzt, ein Mitglied der Landesmedienanstalt und natürlich Norbert, der Oberstaatsanwalt Zwei dieser Freunde finden Walter 1999 erschossen in dessen Wohmmg. Sie suchen ein Video. Es geht um Pornos und 40 000 Mark. Neben dem Abschiedsbrief an eine gute Freundin soll es noch einen zweiten mit den wahren Gründen geben, der alsbald verschwindet. Norberts Staatsanwaltschaft stellt die Ermittlungen ein: Selbstmord aus Liebeskummer bleibt die offizielle Version.
Wer gegen diesen Filz antritt wie ein paar hartnäckige Polizisten, die sich schon früh in die Merkwürdigkeiten um die zwei Attentatsurteile verbeißen, wird kaltgestellt und selbst mit Rufmord und falschen Anschuldigungen überzogen. Der Leipziger Chefermittler für organisierte Kriminalität wird zu Unrecht strafversetzt. Ein internes Gutachten - natürlich „VS -nur für den Dienstgebrauch" kommt erst später zu dem Schluss, dass durch ihn in Leipzig „Bereiche berührt worden sein können, die nicht bekannt werden sollen".
Die Sekretärin wurde bedroht, offenbar wußte sie zuviel
Seit wenigen tagen findet endlich auch die ehemalige Sekretärin von Martin Gehör, die von ihm massiv gemobbt und bedroht wurde. Offenbar wusste Karin Christen zu viel, aber sie erkennt „erst jetzt die Zusammenhänge. Mal tauchen minderjährige Mädchen in ihrem Büro auf, die nach Martin fragen, mal muss sie ihm bei Urkundenfälschungen behilflich seht „Von den Mauscheleien mit Immobilien wissen aber auch andere Mitarbeiter“, sagt sie. Martin selbst bat die LWB unterdessen um "Beendigung seiner Beschäftigung", so die Sprachregelung. Nun sollen auch sämtliche Privatisierungen seit 1990 noch mal geprüft werden, einmal intern und durch eine Arbeitsgruppe am Oberlandesgericht Dresden. Das kann dauern.
Die Antikorruptionseinheit INES schlägt schon seit Jahren mühsam Schneisen durch den Leipziger Dschungel. Und vieles aus den Verfassungsschutzakten kommt den
Sonderermittlern gar nicht so neu vor. So steht Anfang Juli Peter vor Gericht, der schon vor drei Jahren wegen immer neuer Vorwürfe der Vetternwirtschaft sein Amt als Stadtkämmerer räumen musste. Auch er hatte zu viel mit Roland zutun. Gegen Olli, der in den ominösen Akten ebenfalls mehrere Seiten füllt, wird schon länger wegen des Verdachts der Vorteilsgewährung ermittelt
INES interessiert sich außerdem für Klaus und Georg, die Chefs der Wasserwerke und vom Nahverkehr, weil sie nicht jede Dubai-Reise oder Luxusuhr erklären können, die möglicherweise bei Cross-Border-Leasing-Geschäften mit amerikanischen Heuschrecken anfielen, ebenso wie für die beiden letzten großen Bauträger, die um den Rest der noch zu privatisierenden Leipziger Immobilien konkurrieren. Sie sind ausnahmsweise mal beide echte Leipziger. Allein das macht sie und ihre Millionen, mit denen angeblich ganze Straßenzüge gekauft werden, für viele Konkurrenten verdächtig.
Einer ist Olli. Der andere geht relativ offen mit der Nähe zu Burkhard um. Er war selbstverständlich da, als der neue Oberbürgermeister im „engsten Freundes-und Familienkreis" seinen Wahlsieg feierte. Dabei soll seine Wahlkampfspende kaum der Rede wert gewesen sein. Sein Minderheitsgesellschafter ist zufällig der Ehemann der ehemaligen Stadtsprecherin, die unter Burkhard das Sportamt übernahm.
Burkhards Vorgänger Wolfgang ist heute Bundesbauminister und scheint als oberster Bauaufseher von Leipzig jahrelang über einer korrupten Stadt geschwebt zu haben. Er fühlte sich eher für Visionen zuständig, und weil er außerdem echter Leipziger war, nahm ihm das dort niemand krumm. Einheimischer Größenwahn und zugereistes Möchtegerngehabe ergänzten sich hier schon immer. Nur so wurde man Messe- und beinahe Olympiastadt, galt früher lange als pro Kopf reichste Stadt des Reiches und will das wieder werden - koste es, was es wolle.
Deshalb muss sich auch Babis, der Wirt, keine Sorgen machen. Die wirklich großen Räder, das wollen Trattoria-Stammgäste wissen, werden ohnehin bei anderen Tafelrunden gedreht. Dafür fährt Burkhard, so flüstern sie, ab und zu auf ein Schloss im Westen der Stadt. Die Teilprivatisierung der Stadtwerke steht an. Offenes Bieterverfahren, viele Interessenten, Verfahren streng geheim. Es geht um mehrere Millionen Euro.
Von Holger Witzel und Martin Jehnichen (Fotos)