Karl Nolle, MdL

Neues Deutschland ND, 01.06.2007

Landtag will den Sumpf ergründen

Sächsische Korruptionsaffäre: Parlaments-Sondersitzung und erstes Disziplinarverfahren
 
Wegen der Korruptionsaffäre in Sachsen hält der Landtag eine Sondersitzung ab. Teile der ominösen Verfassungsschutzakten liegen inzwischen bei den Ermittlungsbehörden.

Zweimal zwanzig Seiten – diesen Umfang hat ein Dossier, das vor Pfingsten in Sachsen an die Staatsanwaltschaft übergeben wurde. Es handelt sich um erste Auszüge aus einem Konvolut von 15 600 Seiten, das der Verfassungsschutz des Freistaats angelegt hat und das für wuchernde Spekulationen sorgt, seit Inhalte in den Medien skizziert werden. Unter dem Stichwort »sächsischer Sumpf« wird über Verbindungen sächsischer Politiker und Justizbeamter zur organisierten Kriminalität berichtet; die brisanten Unterlagen, heißt es, böten Stoff für eine Staatskrise.

Kommenden Dienstag wird der Landtag versuchen, den Sumpf zu ergründen. Auf Antrag der Linksfraktion kommt das Parlament zur Sondersitzung zusammen. Die Oppositionsfraktion drängt auf »rückhaltlose Aufklärung der persönlichen Verstrickung von Politikern, Richtern, Staatsanwälten« und verlangt Erklärungen für das »Versagen elementarer rechtsstaatlicher Kontrollmechanismen«.
Worum es genau geht, wissen bisher nur fünf der 124 Landtagsmitglieder: je zwei Abgeordnete von CDU und Linkspartei sowie ein SPD-Mann, die in der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) den Geheimdienst beaufsichtigen.

Sie hatten nach Querelen zwischen Datenschützer und Innenminister zu prüfen, ob der Verfassungsschutz die Sammlung zu Recht anlegte; auf Klage der Linksfraktion hatte das Verfassungsgericht 2006 geurteilt, dass der Geheimdienst nicht für Organisierte Kriminalität zuständig ist. Die Lektüre der Akten war offenbar erschütternd. Danach sah die PKK einstimmig eine »Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grund ordnung« und riet dringend zu Ermittlungen sowie Einschaltung der Bundesanwaltschaft. Innenminister Albrecht Buttolo (CDU), der ebenfalls Einblick hatte, zeigte sich »angewidert von dem, was man in den Akten lesen muss«.

Unter dem öffentlichen Druck sucht die Staatsregierung nun Aufklärungswillen zu demonstrieren. Buttolo sicherte zu, die Akten an Ermittlungsbehörden zu übergeben; Justizminister Geert Mackenroth (ebenfalls CDU) kündigte an, »integre, handverlesene« Mitarbeiter der sächsischen Justiz sollten Licht ins Dunkel der Affäre bringen und würden dabei von einem auswärtigen Experten unterstützt: Wolfgang Eißler, Präsident des Landgerichts in Waldshut (Baden-Württemberg), solle ein »waches Auge« auf die Vorgänge werfen.

Nicht zuletzt die Landtagsopposition bleibt aber skeptisch, wie ernsthaft wirklich Aufklärung betrieben wird. Eißler sei eine Art »gehobener Zuschauer« ohne klare Kompetenzen, kritisierte Klaus Bartl, Rechtspolitiker der Linksfraktion. Dass Henning Drecoll von der Staatsanwaltschaft Dresden gestern auf einer Pressekonferenz lediglich versicherte, die Affäre sei in guten Händen, aber keinerlei Details etwa zur Zahl der Ermittler mitteilte, nannte Bartl eine »Verwaltungshaltung gegenüber der Öffentlichkeit«, die der Angelegenheit nicht gerecht werde. Mit Verblüffung waren zuvor bereits Äußerungen Mackenroths registriert worden, der ohne tiefere Kenntnis der Akten einschätzte, Sachsen sei »kein Sumpf« und der Skandal zwar eine »ernsthafte rechtsstaatliche Bewährungsprobe«, aber keine Staatskrise.

Die Linksfraktion schließt deshalb weiterhin einen Untersuchungsausschuss nicht aus. In ihrem Antrag für die Sondersitzung, deren Verlauf als »Prüfstein« für die Ernsthaftigkeit der Aufklärung gilt, verlangt sie unter anderem, Generalbundesanwältin Monika Harms solle die Ermittlungsführerschaft übernehmen. Hintergrund ist Skepsis gegenüber sächsischen Behörden. Diese hätten sich, so der SPD-Abgeordnete Karl Nolle, in der Vergangenheit als »institutionalisierte Strafvereitelungsbehörden« erwiesen; sein Linkspartei-Kollege André Hahn nennt den Generalstaatsanwalt das »personifizierte Gegenteil parteipolitisch unabhängiger Ermittlungen«. Mackenroth meint aber, man könne Harms »nicht vorschreiben, was sie zu tun hat«.

Immerhin ein Disziplinarverfahren gibt es im Zusammenhang mit der Affäre bereits. Es richtet sich gegen einen Ex-Oberstaatsanwalt in Leipzig. Er soll Kontakte zum Rotlichtmilieu gehabt und über bevorstehende Ermittlungen informiert haben. Bartl sprach von einem »ersten, längst fälligen Schritt« und forderte die Beurlaubung für die Dauer des Verfahrens; ähnliches hatte die PKK verlangt. Mackenroth lehnt das ab. Der Betreffende bleibt nach einer kürzlichen Beförderung weiter Präsident des Chemnitzer Amtsgerichtes.
Von Hendrik Lasch