Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 15:19 Uhr, 23.06.2007

"ZUKUNFTSKONVENT" DER SPD:

Beck beschwört solidarische Gesellschaft
 
Die SPD ist auf der Suche nach einem neuen Profil. Dabei grenzt sich Kurt Beck scharf von der Union ab. Linksparteichef Oskar Lafontaine bietet sich dem SPD-Vorsitzenden als Kanzlermacher an - während der Koalitionspartner den Sozialdemokraten schwere Versäumnisse vorwirft.

Hannover - Fast zwanzig Jahre ist das aktuelle Parteiprogramm der SPD alt. Es stammt noch aus der Vor-Wendezeit: Auf 1989 datiert das "Berliner Programm". Nun soll ein neues her - moderner, besser. Das "Hamburger Programm" soll im Herbst auf dem SPD-Parteitag in der Hansestadt verabschiedet werden. Was da drin stehen wird, darüber beraten die Sozialdemokraten unter andererem heute auf ihrem "Zukunftskonvent" in Hannover. Die gesamte Parteispitze ist versammelt und rund 3000 Delegierte.

Zwischen neuer Konkurrenz durch die Linke und Regierungsarbeit in der Großen Koalition gilt es, einen neuen Kurs abzustecken. In seiner Auftaktrede beschwor Parteichef Kurt Beck die solidarische Gesellschaft.

In seinem einstündigen kämpferischen Auftritt, für den er am Ende minutenlangen Beifall erhielt, kritisierte Beck die Verweigerungshaltung der Union beim allgemeinen Mindestlohn. Er zeigte sich fest davon überzeugt, dass dieses Ziel trotz des Widerstandes der Union schon bald erreicht werde: Die SPD beharre auf einem allgemeinen Mindestlohn, rief er den Genossen zu. Ziel der SPD bleibe "Arbeit für alle, aber gute Arbeit und nicht irgendwelche".

Die Sozialdemokraten wollten keine Gesellschaft, in der das Einpacken einer Maschine oder das Fegen des Hofes nicht mehr als eine Gesamtleistung des Unternehmens gesehen, sondern zu "Hungerlöhnen" ausgelagert werde, sagte Beck. Dabei bekenne sich die SPD klar zur Tarifautonomie. Sie wolle starke Gewerkschaften. Wo aber Tarifregelungen nicht wirkten, müsse der Staat für die soziale Absicherung der Menschen Sorge tragen.

Beck grenzte seine Partei scharf von der Union ab. Beide hätten völlig unterschiedliche Konzeptionen vom Sozialstaat. Der Parteichef bekräftigte seinen Vorwurf, dass starke Kräfte in der Union eine neoliberale Richtung in der Wirtschafts- und Sozialpolitik verfolgten. Eine Abkehr von ihren alten Parteitagsbeschlüssen sei in der CDU nicht in Sicht. Die SPD werde verhindern, "dass das Soziale in der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland immer kleiner geschrieben wird".

Beck wandte sich zugleich scharf gegen alle Versuche auch aus den Reihen des Koalitionspartners CDU/CSU, den Kündigungsschutz aufzuweichen. "Was ist das für eine Gesellschaft, in der Familien nicht mehr wissen, wo sie morgen ihren Arbeitsplatz finden?" Die SPD wolle nicht, dass Menschen ständig wegen wechselnder Arbeitsplätze ihre Heimat verlassen müssen.

Der SPD-Linke Ottmar Schreiner verlangte eine Kurskorrektur seiner Partei hin zu mehr sozialem Profil. Koalitionen aus SPD und Linkspartei schloss er nicht aus. Schreiner sagte in der "Kölnischen Rundschau": "Die ganz große Mehrheit der SPD steht vom Bauchgefühl her den Aussagen der Linkspartei sicher deutlich näher als den Positionen der Union." Deshalb sei es falsch, eine denkbare Koalition kategorisch abzulehnen. Schreiner, der auch Mitglied im SPD-Präsidium ist, verlangte Korrekturen bei der Rente mit 67 und bei der Arbeitsmarktreform Hartz IV.

Lafontaine bietet Beck Unterstützung an

Linksparteichef Oskar Lafontaine bot der SPD Unterstützung bei der Wahl von Parteichef Kurt Beck zum Bundeskanzler an. Er sei "selbstverständlich" zu Gesprächen mit der SPD bereit, erklärte Lafontaine dem SPIEGEL. "Wenn er fragt 'Seid ihr bereit, den Mindestlohn durchzusetzen und die Rentenformel wiederherzustellen, Hartz IV zu revidieren und die Truppen aus Afghanistan zurückzuholen?' - dann kann Beck morgen Kanzler sein."

Die Union hat ihrem Koalitionspartner heute Versäumnisse im Kampf gegen die Linkspartei vorgeworfen. Die SPD hätte die Auseinandersetzung früher und schärfer suchen müssen, sagte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla der "Wirtschaftswoche". Pofalla erklärte, die SPD habe bisher eine Auseinandersetzung versäumt und somit zugelassen, dass sich die Linkspartei gründen konnte. In einem Brief an Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, der der "Welt am Sonntag" vorliegt, bekräftigte Pofalla, es gebe viele Gründe, die Linkspartei und die NPD in einem Atemzug zu nennen. Parteichef Oskar Lafontaine warf er vor, die verfassungsmäßige Ordnung gezielt zu delegitimieren und damit keinen Deut besser zu sein als die rechten Hetzer.
ler/dpa/AP