Karl Nolle, MdL
Tagesspiegel, 28.06.2007
Sächsische Korruptionsaffäre: Mieses Klima in Dresdner Landesregierung
Bei Sachsens SPD-Chef und Wirtschaftsminister Thomas Jurk liegen die Nerven blank. Als er am Dienstagabend in der Dresdner SPD-Landesgeschäftsstelle vor die Presse tritt, fährt er in ungehobelter Weise erst einmal seinen designierten Generalsekretär Dirk Panter an: „Das nächste Mal muss das besser organisiert sein.“ Jurks Auftritt vor einer Wand mit Glasbausteinen erinnert ein bisschen an die Filmcomicfigur Shrek, neben einem Aquarium stehend. Es ist das erste Mal, dass der 45-jährige SPD-Chef in der sächsischen Korruptionsaffäre Farbe bekennen muss. Seine „konkreten Erwartungen“ an den Koalitionspartner CDU sind deutlich: ein professionelles Krisenmanagement, keine weiteren Pannen bei der Aufklärung und „kein weiteres Schreddern von Akten“. Sonst, so Jurk, „sehen wir die Koalition ernsthaft gefährdet“.
In der Affäre geht es um brisantes Material, das Verfassungsschützer auf 15 600 Seiten zu fünf Fallkomplexen zusammengetragen haben: Der ausführlichste Komplex trägt den Operationsnamen „Abseits“ und beinhaltet Hinweise auf illegale Grundstücksgeschäfte, Kinderprostitution, Kontakte zwischen Politikern, Justiz und Rotlichtmilieu sowie mehrere Gerichtsverfahren, die viele Fragen offenlassen. In diesem Dossier geht es hauptsächlich um „mafiöse Strukturen“ in Leipzig, wie ein Insider sagt – und um die Zeit, als der heutige Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee (SPD) noch OB in der Messestadt war. Erwähnt werden in den Akten weitere hochrangige SPD-Politiker wie zum Beispiel Tiefensees Amtsnachfolger in Leipzig, Burkhard Jung.
Befürchtungen, dass eigene Parteigenossen durch die Aufklärung der Affäre in politische Bedrängnis geraten, erklären auch das lange Schweigen der sächsischen SPD. „Ohne Ansehen der Personen und Parteien muss die Affäre aufgeklärt werden“, versicherte Jurk jetzt. Damit reagierte er auch auf einen Seitenhieb der CDU: Deren Generalsekretär Michael Kretschmer hatte gefordert, dass „ohne Ansehen der Person die Vorwürfe zur organisierten Kriminalität in Leipzig aufgearbeitet werden müssen“. Weitere Forderungen der SPD nennt er unbegründet. Doch es gibt Gründe, an dem unbedingten Willen zur Aufklärung zu zweifeln: Da werden aus Versehen 40 Akten im Landesamt für Verfassungsschutz vernichtet, die möglicherweise weiteres Material enthalten hätten. Auch die zunächst von der Opposition und jetzt auch von der SPD geforderten externen Sonderermittler sind umstritten. Justizminister Geert Mackenroth (CDU) vertraut auf die Eigenleistung der Ermittlungsgruppe unter Federführung von Generalstaatsanwalt Jörg Schwalm.
Auf dessen Intervention wurde 1998 ein Verfahren des Landeskriminalamts wegen Verdachts der Untreue gegen den damaligen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf im Zusammenhang mit dem Bau des Leipziger Paunsdorf-Centers eingestellt. Der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle spricht von einer „institutionalisierten Strafvereitelungsbehörde“. Die Entscheidung, ob Verfahren oder Ermittlungen eröffnet werden, entscheide ausschließlich der Generalstaatsanwalt. Die ermittelnden Staatsanwälte hätten eine Berichtspflicht „nach oben“ und müssten sich an entsprechende Direktiven halten. Nolle kündigte an, er werde im Zusammenhang mit der Paunsdorf-Affäre eine Anzeige wegen Verdachts der Strafvereitelung im Amt gegen Schwalm einreichen.
Linke, Grüne und wohl auch die FDP wollen in der kommenden Woche die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses beschließen. Sie wollen wissen, wann welche Behörde von den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes gewusst hatte, warum die parlamentarische Kontrollkommission darüber nicht informiert wurde und in welchen Fällen direkt Einfluss auf verdeckte Ermittlungen im Bereich der organisierten Kriminalität genommen wurde. Die Koalition wird sich bei der Abstimmung über die Einsetzung des Ausschusses enthalten.
Von Sabine Beikler, Dresden