Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 28.06.2007

Buttolo in Erklärungsnot

 
Der Verfassungsschutz hat offenbar früher als bisher zugegeben weitere Akten zur Organisierten Kriminalität vernichtet.

Für Albrecht Buttolo (CDU) wird es politisch immer enger. „Sollten sich diese Berichte bestätigen, ist der Innenminister nicht mehr zu halten.“ Für den Grünen-Landtagsabgeordneten Johannes Lichdi war spätestens gestern Abend das Maß des Erträglichen voll. „Wenn das stimmt, hätte der Minister mich belogen.“

Kurz vor 22 Uhr gab es Gewissheit: Die neuen Vorwürfe gegen den Verfassungsschutz treffen zu. Das Landesamt hat bereits früher und umfangreicher als bisher zugegeben Akten zur Organisierten Kriminalität in Sachsen vernichtet. Das bestätigte die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Landtags nach einer fast sechstündigen Marathon-Sitzung beim Verfassungsschutz. Fazit: In „drei weiteren Fällen wurden Zweitkopien von Unterlagen“ vernichtet – offenbar bereits im Herbst 2006. Wie viele und was genau, ist aber noch unklar. Die PKK erwartet nun, dass „entsprechende dienst- und strafrechtliche Konsequenzen“ gegen Verfassungsschutz-Mitarbeiter geprüft werden.

Neuer Präsident deckt auf

Aufgedeckt hat die umfangreichen Schredder-Aktivitäten nach SZ-Informationen der erst Mitte Juni eingesetzte neue Verfassungsschutz-Präsident Reinhard Boos. Seinem geschassten Amtsvorgänger Rainer Stock waren sie offenbar verborgen geblieben. Die PKK stellte sich am Abend demonstrativ hinter Boos. Das Gremium unterstützte ihn darin, die Vorgänge „schonungslos und zügig“ aufzuklären.

Vor wenigen Tagen erst war bekannt geworden, dass Ende April 40 Aktenordner mit Kopien von Gerichtsakten vom Verfassungsschutz geschreddert wurden – laut Innenministerium ohne Wissen Buttolos und der Leitung des Verfassungsschutzamtes. Politische Verantwortung für die erneute Akten-Panne trägt Innenminister Albrecht Buttolo (CDU). Ihm ist das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) unterstellt, er hat die Fachaufsicht.

Der Innenminister wurde gestern in der von ihm einberufenen PKK-Sondersitzung durch Medien-Meldungen über die weitere, viel frühere Schredderaktion überrascht. Seine erste öffentliche Reaktion: Er ließ mitteilten, dass er den neuen Verfassungsschutzpräsidenten angewiesen habe, ihm „in den nächsten Tagen einen ersten Bericht zu allen möglichen Missständen beim Landesamt für Verfassungsschutz in der Vergangenheit vorzulegen“. Buttolo betonte –eher hilflos: „Ich will jetzt endgültig wissen, was alles im LfV passiert ist.“ Vorher werde er sich nicht zu irgendwelchen Teilaspekten äußern. Er bat erneut um die Chance, „alles aufzuklären“. Er wolle sich „nicht aus der Verantwortung“ stehlen. Die Opposition sieht das anders. PKK-Mitglied André Hahn (Linksfraktion) nannte die neue Entwicklung schockierend. „Das macht einen Untersuchungsausschuss umso notwendiger“, sagte Hahn der SZ.

Buttolo selbst hatte die PKK 2006 gebeten, über die Akten zu befinden, die der Verfassungsschutz zur Organisierten Kriminalität gesammelt hatte. Nach Ansicht des Datenschutzbeauftragten war ihre Sammlung rechtswidrig. Die PKK kam jedoch zu einer anderen Auffassung. Seitdem werden die Informationen schrittweise an die Staatsanwaltschaft abgegeben.

Datenschützer prüft Rüge

Neues Unheil droht Buttolo auch vom Datenschutzbeauftragten Andreas Schurig. Er werde Hinweisen nachgehen, denen zufolge der Verfassungsschutz eher als bisher bekannt Akten zur Organisierten Kriminalität in Sachsen vernichtet hat. „Wir werden das ebenfalls prüfen“, sagte Schurig gestern. Seit Tagen untersucht Schurig, ob bei der Vernichtung der 40 Aktenordnern mit Kopien gegen den Datenschutz verstoßen wurde.

Der Druck auf Buttolo wächst auch in seiner eigenen Partei. Lautstark machten gestern die beiden Ex-Minister Heinz Eggert und Matthias Rößler ihrem Ärger über das ihrer Meinung nach mangelhafte Krisenmanagement der Regierung Luft. Unterdessen haben sich die Linke, Grüne und FDP gestern auf den Einsetzungsbeschluss für den geplanten Untersuchungsausschuss geeinigt. Der Antrag soll heute eingereicht werden.
Von Thomas Schade und Annette Binninger