Karl Nolle, MdL

DIE ZEIT, Nr. 27, 28.06.2007

Klein geschreddert

Der Glanz ist hin. Sachsens CDU versinkt in einem Sumpf aus Gerüchten, die Korruptionsaffäre offenbart die Krise der Partei.
 
Dresden. Als der König regierte, war die Welt noch in Ordnung. Das glaubten sie zumindest in der CDU. Er hatte seinem Land den Aufschwung gebracht, und die Menschen liebten ihn dafür. So sehr, dass sie ihn König Kurt nannten, obwohl er doch eigentlich gar kein König war. Zwölf Jahre lang regierte der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf sein Land. Es war eine Zeit, in der die CDU absolute Mehrheiten erzielte, in der sich selbst die Opposition das Opponieren verbat. Sachsen, das war eine ostdeutsche Erfolgsgeschichte, ein Triumph für die CDU.

Der König verabschiedete sich im Jahr 2002 auf unkönigliche Weise. Er war über eine Reihe von Affären gestolpert, den letzten Stoß versetzte ihm der »Fall Ikea«: Der Ministerpräsident und seine Gattin hatten so lange lautstark an der Kasse des Möbelhauses gefeilscht, bis man ihnen widerwillig ein Rabatt von 132 Mark gewährte.

Das war nicht schön für Sachsens CDU, und doch harmlos im Vergleich zu dem, was ihr nun widerfahren ist: die sogenannte Korruptionsaffäre, der »sächsische Sumpf«. Sachsens Regierung befindet sich in einer tiefen Krise - kommende Woche wollen die Oppositionsparteien Linke, Grüne und PDS einen Untersuchungsausschuss einsetzen.

Die Vorwürfe sind ungeheuerlich. Es geht um Kinderprostitution und Amtsmissbrauch, um Morddrohungen und Korruption, vor allem aber um eine Polizei und Justiz, die gemauschelt und vertuscht haben soll. Der Skandal wurde nicht zuletzt von dem Journalisten Jürgen Roth mit angefacht. Der nutzte die Vorwürfe als Gratiswerbung für sein Buch Anklage unerwünscht, das diese Woche erscheint. Noch kann keiner sagen, welches Ausmaß die Affäre hat. Es munkelt und mutmaßt, es wispert und raunt. Doch die Gerüchte haben längst eine Eigendynamik bekommen, die die Frage nach den Details in den Hintergrund gedrängt hat. Im Vordergrund steht eine Landesregierung, die der Krise nicht Herr werden kann und ein jämmerliches Bild abgibt.

Wie konnte es so weit kommen? Am Anfang steht die Geschichte vom Zauberlehrling, der die Geister rief. Die Geschichte einer Regierung, die ihrem Verfassungsschutz große Freiheiten einräumte und ihm überhaupt erst ermöglichte, jene 15600 Seiten starke Aktensammlung zur Organisierten Kriminalität (OK) zusammenzutragen, die die Quelle aller Gerüchte ist und der Regierung nun zum Verhängnis werden kann.

Der Mann, der das hätte verhindern können, ist heute Chef des Bundeskanzleramts. Thomas de Maizière war im Jahr 2005 sächsischer Innenminister – zu jenem Zeitpunkt also, da das sächsische Verfassungsgericht dem Verfassungsschutz die weitere Beobachtung der Organisierten Kriminalität untersagte, es sei denn, es bestehe Gefahr für die verfassungsmäßige Ordnung. De Maizière hätte seinen Geheimdienst in die Pflicht nehmen, ihm befehlen können, alle gerichtsfesten Akten an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten, und den Rest in das Staatsarchiv oder in den Schredder zu befördern.

Noch im April vernichtet der Verfassungsschutz Akten

Keine Aktensammlung, keine Affäre, so einfach wäre das gewesen. Doch der Innenminister entschied sich anders. Er ließ seinen Geheimdienst weiterhin OK-Akten sammeln. Auch die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) unterrichtete er nicht von der Sammlung. Der PKK-Vorsitzende, sein Parteifreund Gottfried Teubner, warf ihm daher »glatten Rechtsbruch« vor.

Jahrelang hütete der Verfassungsschutz seine Sammlung, als sei sie sein persönlicher Schatz. Und das ist für sich schon ein Skandal – ganz egal, welche Details sich am Ende in den Akten verbergen. Denn entweder es gab Erkenntnisse über Straftaten, dann war es ein Vergehen, die Akten nicht an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Gab es diese jedoch nicht, dann ist es eine Anmaßung des Verfassungsschutzes, eine Gefährdung der verfassungsmäßigen Ordnung vorzutäuschen, um sich weiter wichtigzumachen. Vieles deutet auf Letzteres hin.

Als der Fall öffentlich wurde, traf der Eklat Sachsens Regierung unvorbereitet. Sie zögerte und zauderte. Noch drei Wochen später, erstaunten Justiz- und Innenminister durch zwei völlig unterschiedliche Sichtweisen. Während der Justizminister beschwichtigte, Sachsen sei kein Sumpf, warnte der Innenminister vor »perfiden Netzwerken«, die jederzeit zurückschlagen könnten. Sie hatten sich offensichtlich noch immer nicht abgesprochen. Kein Wunder, meint ein Parteifreund. »Das Verhältnis ist vergiftet. Mackenroth glaubt, dass der Innenminister keine Ahnung hat, und Buttolo fürchtet, dass ihm der Justizminister noch in dieser Legislaturperiode das Amt abnehmen könnte.«

Vergangene Woche geriet das Schauspiel vollends zur Posse: Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) räumte ein, dass der Geheimdienst im April 40 Aktenordner mit Hinweisen zu kriminellen Netzwerken vernichtet hatte. Es handelt sich um Kopien von Gerichtsakten, die sich der Verfassungsschutz zukommen ließ. Allerdings sind die Originale teilweise ebenfalls geschreddert worden, und das ausgerechnet in Zwickau und Chemnitz. Präsident am Amtsgericht Chemnitz ist jener Norbert Röger, der durch die Akten des Verfassungsschutzes besonders belastet wird. Spätestens hier stellt sich die Frage, wer in Sachsen denn nun eigentlich wen regiert: der Innenminister den Geheimdienst, oder der Geheimdienst den Innenminister?

Wenn es unbequem wird, sitzt der Ministerpräsident die Sache aus

Albrecht Buttolo hat sich nie für den Verfassungsschutz interessiert. Das war schon so, als er noch Staatssekretär war und der Geheimdienst in seinen Verantwortungsbereich fiel. Und es änderte sich auch nicht, als er Innenminister wurde. Buttolo delegierte die Verantwortung an seinen damaligen Staatssekretär, als handle es sich um einen völlig unbedeutenden Nebenaspekt seines Amtes. Der Minister konzentrierte sich lieber ganz auf das heikle Projekt der Kreisreform.

Albrecht Buttolo ist ein unprätentiöser Mensch. Um den Posten des Innenministers hat er sich nicht gerissen. Er habe eine schöne Terrasse, auf der er seine Zeit gut verbringen könne, hat er einmal gesagt. Mit so viel bodenständiger Gelassenheit schien er genau der Richtige für die Aufgabe einer Kreisreform. Er war genau der falsche Mann, für das, was kommen sollte. Buttolo sei überfordert, sagen seine Parteigenossen.

Viele in der Partei fragen sich indessen: Wo steckt der Ministerpräsident? Georg Milbradt tut, was er zum Ärger von Parteifreunden immer tut, wenn es unangenehm wird: Er sitzt die Sache aus. Vielleicht hält er sich an den Ratschlag, den ihm einst der frühere Innenminister Heinz Eggert frei nach Konfuzius gegeben hat: Warte am Ufer der Elbe, bis deine Gegner hinuntergetrieben kommen. Das hat oft funktioniert. Fragt sich, ob die Strategie auch jetzt die richtige ist. Viele CDUler, so ein Parteifreund, nähmen den Ministerpräsidenten ohnehin »nur noch murrend hin«.

Milbradt konnte seiner Partei nie geben, was ihr sein Vorgänger gegeben hatte: den Glanz, vor allem aber die absolute Mehrheit. Seit der Landtagswahl 2004 sitzt die SPD mit am Kabinettstisch. »Der einzige Grund, aus dem er sich halten kann, ist die personelle Perspektivlosigkeit der CDU«, so ein Abgeordneter. Die Partei kümmerte sich jahrelang nicht um den politischen Nachwuchs, sie lebte von der Aura Biedenkopfs und dem Glauben, dass es irgendwie schon weitergehen würde. »Wir dachten immer, wir haben bayerische Verhältnisse«, sagt der CDU-Landtagsabgeordnete Alexander Krauß. »Wir hatten aber nur bayerische Wahlergebnisse.« Die CDU ist in Sachsens Bevölkerung nicht verwurzelt. Sie ist eine kleine Partei, 13600 Mitglieder, so viele hat ein großer Kreisverband in Baden-Württemberg. 18 Jahre nach der Wende läuft noch immer eine Bruchlinie zwischen Ost-und Westdeutschen. Immer noch schmähen einige Westler ihre Kollegen aus dem Osten als »Blockflöten«, die wiederum ärgern sich darüber, »dass im Staatsministerium mehr schwäbisch als sächsisch gesprochen wird«, so Krauß.

Sachsens CDU ist in die Jahre gekommen. Die meisten Abgeordneten sind 60 Jahre oder älter, aus Berufung sei längst Beruf geworden, erzählt einer aus der Partei. Selbst ein junger Abgeordneter wie Krauß glaubt, dass »die Zeit der großen Begeisterung vorbei« sei.

Trotzdem wird die CDU 2009 erneut mit Milbradt in den Wahlkampf ziehen, es gibt keinen Konkurrenten. Bis dahin muss sie alle Zweifel ausräumen, dass Sachsen unter ihrer Ägide zum Sumpf geworden ist. Das wird nicht einfach, denn die Opposition ist eine andere als zu des Königs Zeiten: Das Opponieren verbietet sie sich längst nicht mehr.
Von Angela Köckritz