Karl Nolle, MdL
SPIEGEL 27/2007, Seite 36, 02.07.2007
Sonartechnik für Pakistan
Bringt ein Untersuchungsausschuss die CDU/SPD-Koalition in Not?
Der Verfassungsschutz hat im sächsischen Korruptionsskandal weit mehr Akten geschreddert als bekannt. Bringt ein Untersuchungsausschuss die CDU/SPD-Koalition in Not?
Die Spur führte in den Dresdner Nobelstadtteil Weißer Hirsch. Hier residierte in einer herrschaftlichen Villa der Georgier B.; erworben hatte er die Immobilie bei einer Zwangsversteigerung, bezahlt hatte er sie, so der Verdacht der Verfassungsschützer, aus Geldwäschegeschäften.
Um mehr über die Aktivitäten des ehemaligen Sowjet-Bürgers herauszufinden, schleuste der Geheimdienst eine Quelle in dessen Umfeld ein. Zugleich machten sich die Schlapphüte in der Landeshauptstadt auf die Suche nach Personen mit kleinen Tätowierungen: Ein Skorpion gilt als Zeichen der Zugehörigkeit zur osteuropäischen Mafia.
Mit der Zeit hatte der Dienst eine Reihe vielversprechender Informanten, die Einblicke in das mafiose Netzwerk osteuropäischer Geschäftemacher in Zwickau, Chemnitz, Leipzig und Dresden lieferten. In den Akten wurden sie unter Decknamen wie "Octus", "Visit" oder "Denby" geführt. Doch zu den Strafverfolgern sind Erkenntnisse der Geheimdienstler höchst selten gelangt. Und manche Recherchen in diesem Umfeld scheinen sogar unwiederbringlich perdu - vernichtet im Reißwolf.
Ein Umstand, der den sächsischen Innenminister nun erheblich unter Druck setzt. Hatte Albrecht Buttolo, 59, vor zwei Wochen im Innenausschuss noch erklärt, es habe in der Korruptionsaffäre lediglich eine einzige Aktenvernichtung gegeben, die im Übrigen auf "einem internen Missverständnis" beruhe, so musste der CDU-Politiker nun eine neue Version eingestehen: Demnach haben Mitarbeiter des Geheimdienstes zwischen Mai 2006 und April 2007 mindestens dreimal den Schredder angeschaltet, um Akten zu beseitigen, die Hinweise auf Struk-
turen Organisierter Kriminalität (OK) enthielten.
Die vorschriftswidrige Aktion Reißwolf bringt die CDU-SPD-Koalition an der Elbe endgültig in schweres Fahrwasser. Die SPD droht offen mit einem Bruch der ohnehin fragilen Verbindung: "Wir sind kein Bündnis für Vertuschung", wettert Regierungs-Vize Thomas Jurk.
Nahezu wöchentlich offenbart die Affäre um mutmaßliche Kontakte von Politik, Justiz und Polizei zu Rotlichtmilieu und Organisierter Kriminalität das schlechte Krisenmanagement des Kabinetts - es reagiert, statt zu agieren. Fassungslos starren viele Fraktionäre auf ihre Regierung: Während der Innenminister von seinem Geheimdienst vorgeführt wird, reist Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) beschwingt durch China, um begleitet von Qipao-Schönheiten rote Bänder zu durchschneiden.
Zu Hause versucht der neue Chef des Landesamts für Verfassungsschutz aufzuklären, was in den vergangenen Monaten gegen jede Dienstvorschrift denn so alles abhandengekommen sein könnte. Alle mit den OK-Fällen befassten Mitarbeiter müssen derzeit dienstliche Erklärungen darüber abgeben, ob sie Unterlagen beiseitegeschafft haben. Demnach sind 45 Akten im Reißwolf gelandet. Dabei handelt es sich um Kopien von Gerichtsakten, die einst zu den beobachteten OK-Bereichen angefordert wurden. Das Problem für die aktuellen Ermittlungen der Dresdner Anti-Korruptionseinheit: Die Staatsanwaltschaften, die derartige Akten sammeln, haben enge Fristen für die Aufbewahrung. In mindestens sieben Fällen sind auch die Originalakten inzwischen vernichtet. Der Vorgang wird derzeit im Verfassungsschutz dienstrechtlich und strafrechtlich geprüft.
Die ersten Akten verschwanden im Geheimdienst wohl Ende Mai 2006, als die Mitarbeiter der aufgelösten OK-Abteilung des Dienstes neue Jobs antraten. Im Reißwolf landeten zunächst die Unterlagen zum Überfall auf den Döbelner Motorradclub Highway Wolves, bei dem im Februar 2000 ein 22-Jähriger erschossen wurde. Der Dienst interessierte sich für die Vorgänge, weil er rechtsextreme Strukturen im Rocker-Milieu vermutete.
Kurz darauf, im Juni 2006, begann ein anderer Mitarbeiter, Akten zu OK-Strukturen im vogtländischen Plauen zu vernichten. Ende April 2007, also wenige Tage vor Bekanntwerden der Affäre, liefen die Schredder richtig heiß: Über 40 Akten wurden zerkleinert.
Ein geplanter Untersuchungsausschuss wird klären müssen, wem die Aktenvernichtung genützt hat. In Plauen etwa waren die Verfassungsschützer einer alten Stasi-Seilschaft auf der Spur. Eine Gruppe von Geschäftsleuten wollte offenbar tschechische Sonartechnik, die auf der US-Embargoliste steht, nach Pakistan liefern. Der "Pakistan-Deal" sollte nach Unterlagen des Verfassungsschutzes über einen Mittelsmann der Schweizer Botschaft in Islamabad abgewickelt werden. In dem vertraulichen Dossier gehen die Ermittler von Kontakten der ehemaligen Stasi-Leute zum tschechischen Geheimdienst aus.
Ob solche Fälle nach der Schredderaktion noch strafrechtlich verfolgt werden können, ist bislang ebenso ungewiss wie die Zukunft des angeschlagenen Innenministers Buttolo. Selbst die eigenen Parteifreunde warten bang auf die Rückkehr Milbradts vom Drei-Schluchten-Stausee im fernen China. Für den Pannen-Minister, raunt es aus der Staatskanzlei, könnte die nächste Kabinettssitzung die letzte sein.
STEFFEN WINTER