Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung, 02.07.2007

Sachsens Spiegel: Skandale und Erfolge des Landes sind eng verwoben, der Ministerpräsident muss sich jetzt einschalten

 
Sachsen ist gemeinhin als das Musterland im deutschen Osten bekannt. Schneller als andere hat der Freistaat den Erfolg nach der Wende geschafft, eine solide Haushaltspolitik, gepaart mit gewiefter Wirtschaftsansiedlung und gezielten Infrastrukturmaßnahmen, sorgten dafür. Heute ist Dresden in aller Welt als Zentrum der High-Tech-Industrie ein Begriff. Die alte Messemetropole Leipzig hat ihre Rolle als wichtiges Drehkreuz des Handels zwischen Ost- und Westeuropa zurückerobert, und auch in der Maschinenbaustadt Chemnitz brummen die Motoren. Allenthalben scheint die Wirtschaft im Freistaat zu florieren, der Tourismus blüht, und die Staatsverschuldung ist so niedrig, dass selbst manche Westländer nur neidvoll auf die Sachsen schauen können.

Der Erfolg hat mit den handelnden Personen zu tun: mit dem einstigen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf und mit seinem damaligen Finanzminister und heutigen Nachfolger Georg Milbradt. Für ihre kluge Aufbaupolitik, deren Früchte erst heute so richtig offenbar werden, verdienen die beiden Christdemokraten uneingeschränktes Lob. Freilich darf man die beiden auch an ihre Verantwortung erinnern, wenn sich unter der glänzenden Oberfläche des Erfolges nun ein Abgrund auftut, der Schaudern lässt. Da fällt der Blick auf gefährliche Verquickungen zwischen Amtspersonen und Rotlichtgrößen, geldgierige Immobilienschieber und rechtlose Juristen. Es geht um Duckmäusertum und Durchstechereien, um Kungelei und Korruption.

Noch ist das Ausmaß des Skandals kaum abzuschätzen, allenfalls schemenhaft scheint ein Webmuster erkennbar. Klar ist schon jetzt, dass sich der Rechtsstaat in Sachsen weit schlechter entwickelt hat als der Wirtschaftsstandort. Die demokratischen Kontrollmechanismen weisen ersichtliche Defizite auf. Zwar führen die jetzt ans Licht gekommenen Skandale in die ersten Jahre nach der Wende zurück. Dass es jedoch bis heute nicht gelingt, die Verwicklungen aufzuklären, zeugt von der fragilen Fassade der sächsischen Erfolgsstory.

In dieser Situation kann nur rigorose Aufklärung helfen. Eben daran aber fehlt es. Da ergeht sich der Innenminister in düsteren Sprachbildern über das angebliche Wesen der Organisierten Kriminalität. Unterdessen beschert ihm sein Verfassungsschutz eine Panne nach der anderen: Akten werden geschreddert, Erklärungen sind falsch, die Glaubwürdigkeit ist ramponiert - Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) ist so wenig Herr der Lage, dass man sich wundert, warum er eigentlich noch im Amt ist. Unterdessen kann sein Justizkollege Geert Mackenroth zu den Untersuchungen auch nicht allzu viel beitragen, denn bis heute haben seine Staatsanwälte die dafür notwendigen Unterlagen nicht vollständig bekommen.

Es ist ein Trauerspiel, bei dem eigentlich nur einer den Helden der Aufklärung spielen könnte: Sachsens Ministerpräsident Milbradt. Doch statt sich beherzt der Situation zu stellen, ist der Christdemokrat auf Tauchstation gegangen. Während sich sein Innenminister in Dresden einen Fehltritt nach dem anderen leistete, reiste Milbradt in den letzten Tagen durch China und ließ sich mit Blumenmädchen fotografieren - zu den heimischen Skandalen kein Kommentar.

Womöglich meint der Landeschef, dass er die Krise in westfälischer Sturheit einfach nur aussitzen muss. Doch das könnte eine schwere Fehleinschätzung sein. Denn der Skandal um mögliche kriminelle Netzwerke in Sachsen wird nicht kleiner, sondern größer, je länger er dauert. Zu erkennbar ist, dass die Probleme eng mit dem Aufbau und der Entwicklung des Landes seit der Wende zusammenhängen. Erkennbar ist eine düstere Kehrseite des Erfolgs. Der Regierungschef wäre deshalb gut beraten, von sich aus aktiv die Aufklärung zu betreiben - andernfalls könnte er selber Schaden nehmen.
Von Christiane Kohl