Karl Nolle, MdL
Tagesspiegel, 03.07.2007
Geheimdienst in Sachsen gibt Fehler zu
BERLIN - Sachsens Verfassungsschutz hat bei der Beobachtung der organisierten Kriminalität gravierende Fehler gemacht. Ein leitender und noch aktiver Polizeibeamter soll eine der Quellen gewesen sein, die den Verfassungsschützern Informationen gegeben haben soll. Das widerspricht laut Landesverfassung dem Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdienst. "Wir haben jetzt einen Motorschaden im Geschäft", sagte Verfassungsschutzpräsident Reinhard Boos am Dienstag. "Die Informationsgewinnung ist vergiftet", sagte Andreas Schumann, Sprecher des Innenministeriums. "Das heißt aber nicht, dass der Inhalt des Materials nicht korrekt ist." Alles weitere sei Sache der Staatsanwaltschaft. In der sächsischen Korruptionsaffäre geht es um brisantes Material, das die Verfassungsschützer zu fünf Fallkomplexen zusammengetragen haben. Bei den "gravierenden Fehlern" des Verfassungsschutzes handelt es sich ausgerechnet um den ausführlichsten Komplex mit dem Operationsnamen "Abseits", in dem es Hinweise auf illegale Grundstücksgeschäfte, Kinderprostitution, Kontakte zwischen Politikern, Justiz und Rotlichtmilieu gibt. Zudem geht es in diesem Komplex um umstrittene Gerichtsurteile in Leipzig.
Zur Identität des Informanten gab es widersprüchliche Informationen. Aus Regierungskreisen wurde kolportiert, es könnte sich um den leitenden Polizeibeamten Georg Wehling handeln. Er hatte im Rahmen von Ermittlungen schwere Vorwürfe gegen die Justiz erhoben. Wehling, bis 2003 Dezernatschef für organisierte Kriminalität in Leipzig, wurde selbst kriminalisiert: Nachdem er im Zuge seiner Recherchen zu einem Leipziger Kinderbordell hohe Justizbeamte vorgeladen hatte, leitete die Staatsanwaltschaft unter damaliger Federführung von Norbert R. 2002/2003 neun Ermittlungsverfahren gegen Wehling ein. Er konnte alle Vorwürfe entkräften und wurde nach zwei Jahren Suspendierung bei der Abteilung Kriminaltechnik eingesetzt.
Andere bezweifeln, dass ausgerechnet Wehling der Informant gewesen sein soll. "Das ist ein weiterer Schritt, um ihn mundtot zu machen. Nichts funktioniert in Ostdeutschland besser, seinen Leumund kaputtzumachen, als zu sagen, er sei ein Informant gewesen", sagten Kenner der Szene dem Tagesspiegel. Der Verfassungsschutz habe zwar 2006 mit Wehling gesprochen - zu einem Zeitpunkt, als das Dossier über kriminelle Netzwerke zwischen Polizei, Justiz und organisierter Kriminalität in Leipzig bereits abgeschlossen war. Wehling war am Dienstag für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Auch das Innenministerium wollte den Fall nicht kommentieren.
Ob es in der Arbeitsweise des Verfassungsschutzes weitere Fehler gegeben hat, will Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) jetzt durch externe Ermittler im Verfassungsschutz und bei der Polizei klären lassen. Bei der Staatsanwaltschaft aber werden keine externen Ermittler eingesetzt. Das kritisiert Uwe Berlit, Landesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen und Bundesverwaltungsrichter: "Wenn man schon meint, aus politischen Gründen externe Unterstützung heranholen zu müssen, hätte man deutlich mehr externes Personal heranholen müssen, um die Aufklärung zu beschleunigen. Ansonsten hätte es dabei bleiben müssen, dass die sächsische Justiz die Vorwürfe aus eigener Kraft vollständig aufklären soll."
Linke, FDP und Grüne wollten an diesem Mittwoch die Einsetzung des Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der Affäre beschließen. Doch nun fordern SPD und CDU von der Opposition, ihren Antrag zu überarbeiten. "Es gibt erhebliche verfassungsmäßige Bedenken, deshalb muss der Antrag überarbeitet werden", sagte SPD-Fraktionsvize Stefan Brangs. Verhindern wolle man den Ausschuss aber keinesfalls. André Hahn, parlamentarischer Geschäftsführer der Linken, nannte diese Bedenken "an den Haaren herbeigezogen". Man sei zwar "gesprächsbereit, doch lassen wir uns den Untersuchungsauftrag nicht verwässern", sagte Hahn. Das Verhalten der Koalition zeige, dass es ihr um "Klamauk in Richtung Oppositionfraktionen" gehe, sagte Grünen-Politiker Johannes Lichdi. Zuvor nannte Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) den Untersuchungsausschuss "Klamauk". Ob der Ausschuss am Mittwoch eingesetzt wird, blieb offen.
Von Sabine Beikler